07.03.2016
FOTOS UND TEXT: Ines Tanner

Peter Hiltebrand ist stolz auf sein beschriftetes Auto.

Gefragte Mietrentner

Arbeit für Pensionäre

Peter Hiltebrand, 73, lieferte die Idee zur Onlineplattform «Rent a Rentner». Frauen und Männer im Pensionsalter bieten sich als «alte Säcke» oder «alte Schachteln» zum Mieten an. Und sie lassen sich auch adoptieren.

Auf Ihrer Visitenkarte steht: «Kompetenzzentrum für alte Säcke». Sie sind selbst einer. Wie fühlen Sie sich?
Genau so, kompetent und alt. Und zufrieden. Ich bin gesund und hatte vor eineinhalb Jahren das Glück, einen Hirnschlag schadlos zu überleben. Mich erschüttert oder überrascht gar nichts mehr, und ich lasse mich von nichts und niemandem ins Bockshorn jagen.

Alte Säcke und Schachteln, warum diese Wortwahl?

Das ist ein Spruch, den jeder ältere Mensch bestimmt schon gehört hat. Dadurch gräbt er sich nachhaltig ein. Ich wurde sogar schon in Genf und Singapur mit: «Hey, Sie sind doch der alte Sack›» angesprochen. Das stört mich nicht. Im Gegenteil, es macht mich stolz. Auch unsere Mitglieder empfinden den Slogan nicht als abschätzend, sonst würden sie nicht bei uns mitmachen.

Sie nehmen also alles gelassen?

Ja, und ich lasse mir nichts vorschreiben. Falls ich ein, zwei oder drei Bier trinken will, tue ich das. Mir soll ja keiner sagen: «Trinke nur eines.» Auch wenn mich ein möglicher Auftraggeber anruft und verlangt, dass ich die Arbeit sofort erledigen muss, antworte ich stoisch mit «ja, ja» und verweise ihn an ein anderes Mitglied. Bei mir gibt es nichts mehr sofort. Für Leute, die mich grundlos bestürmen, habe ich grundsätzlich keine Zeit. Natürlich entstehen Probleme, wie beispielsweise eine Strompanne bei einem Umzug, die einen schnellen Einsatz erfordern. Dann stehe ich umgehend zur Stelle. Wie gesagt, ich mache nur noch, was ich will. Das Schöne am Altsein ist: Ich muss nichts mehr.



Was möchten Sie denn gerne tun?

Als lizenzierter Elektriker alle Arbeiten, die in diesen Bereich fallen. Ich bin mir auch nicht zu schade, Lampen aufzuhängen oder Schaltuhren zu reparieren. Jobs, die mit Garten zu tun habe, lehne ich ab. Ich habe selbst einen grossen. Diesen lasse ich ab diesem Frühling von einem Chinesen bewirtschaften. Er darf damit tun, was er will, und die allfällige Ernte behalten. Hauptsache, ich muss mich nicht mehr mit seiner Pflege beschäftigen. 



Wie viele Anfragen bekommen Sie persönlich pro Tag?

Zehn oder fünf. Das variiert genauso wie die Tageszeiten. Einige Kunden rufen bereits morgens um sieben an, andere nachts um zehn. Auch samstags und sonntags. 



Bei diesen Mengen können Sie wohl kaum alle Arbeiten annehmen.

Ich verweise die Auftraggeber oft an die anderen über 5000 Mitglieder. Ich selbst arbeite ungefähr 400 Stunden pro Jahr.



Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee für die Plattform?

Als Elektroinstallateur führte ich während 30 Jahren mein eigenes Unternehmen. Mein Sohn wollte es nicht übernehmen, also verkaufte ich es. Mir schwebte schon lange vor der Pensionierung der Gedanke im Kopf herum, später einen kleinen Handwerkerpool zu gründen. Dieses Vorhaben scheiterte, weil ich und meine Kollegen den administrativen Aufwand scheuten. Aber ich wollte mit 65 auf jeden Fall nochmals etwas Neues in Angriff nehmen. Mir war bewusst, dass es vielen Rentnern auch so geht. Wie genau mir und den anderen optimal gedient sein könnte, war mir jedoch unklar. Schliesslich hatten ich, eine meiner beiden Töchter und ihr Partner nach intensiven Gesprächen den zündenden Einfall. Die beiden betreiben eine Werbeagentur und hatten die Idee für eine Internetseite. Seit damals wache ich jeden Morgen lachend auf.



Sie scheinen humorvoll zu sein.

Sicher. Ich habe allen Grund dazu. Wer 65 Jahre alt wird, ohne krank oder behindert zu sein, dem geht es doch saugut! Ich habe keine Sorgen, blicke auf ein erfülltes Leben zurück, habe durch den Verkauf meines Geschäfts genug Geld und kann, dank «Rent a Rentner», arbeiten, wann ich will und wann ich Lust dazu habe. Einfach so auf der faulen Haut liegen, das kann ich nicht.


Mittels Stecknadeln dokumentiert Peter Hiltebrand die ersten tausend «Rent a Rentner»-Mitglieder.

Was ist die Motivation der anderen Rentner?

Einige arbeiten aus Freude und weil es ihnen ein gutes Gefühl gibt, noch gebraucht zu werden. Zahlreiche aber auch wegen des finanziellen Zustupfs. Leider sind viele Pensionierte arm. Allen Politikern, die von unserem Altersversorgungssystem schwärmen, muss ich sagen, dass sie überhaupt keine Ahnung von der Realität haben. Wer mit der AHV und den Ergänzungsleistungen auskommen muss, kann höchstens in einem Billigland gut über die Runden kommen. In der Schweiz geht das nicht. Mit der eventuell zusätzlich vorhandenen 2. Säule ebenfalls nicht. Sie wurde erst 1985 obligatorisch. Gerade selbständige Handwerker haben oftmals nur das Minimum eingezahlt. Dadurch kommen sie höchstens auf dreizehn-, vierzehn- oder wenn es hoch kommt auf fünfzehnhundert Franken Zusatzrente. Davon kann niemand richtig leben. Nur knapp überleben. Ferien liegen da schon gar nicht drin. Wenn überhaupt höchstens ein, zwei Tage. Zum Glück geht es mir besser. Meine Partnerin und ich können uns den Luxus zwei Wochen Urlaub am Stück leisten.



Ist sie auch «Rent a Rentner»-Mitglied?

Nein. Sie hat genug zu tun mit all den Telefonanrufen, die ich bekomme und selbst nicht beantworten kann, wenn ich anderweitig beschäftigt bin. Wäre sie auch dabei, hätten wir zu wenig Zeit füreinander. 



Was war Ihre kurioseste Anfrage?

Meine persönliche: «Wetsch mi hürate?» Ich lehnte dankend ab. Generell geraten die verrücktesten Aufträge an uns. Ein Mitglied aus Chur musste als Trauzeuge einspringen. Eine Grossmutter aus dem Emmental arbeitet als Köchin für Wöchnerinnen.



Und welches die schönste?

Kurz vor Weihnachten rief mich eine alleinstehende dreifache Mutter an. Nachdem ich ihr die Lampen aufgehängt hatte, verlangte sie eine Rechnung. Ich wusste sofort, dass sie kein Geld hatte. Also sagte ich ihr, sie müsse nichts bezahlen, dafür aber den Kindern etwas kaufen. Wieder zu Hause angekommen, fand ich eine grosse Packung Pralinés vor der Haustür. Ich kehrte zurück und schenkte sie der Frau. Ihre Freude berührte mich.



Welche Dienstleistungen werden am meisten gesucht?

Das weiss ich nicht. Unser Portal ist so gestaltet, dass lediglich die Klicks generell gezählt werden. Die einzelnen Arbeitsgattungen werden nicht erfasst.



Versteuern Sie und die anderen Rentner die Einnahmen?

Ich schon. Von mir bekommt jeder Kunde eine Quittung. Wie es die anderen Mitglieder handhaben, weiss ich nicht. Ich hatte schon Besuch vom Steueramt der Stadt Zürich. Die Beamten wollten tatsächlich von mir wissen, ob unsere Leute so viel verdienen, damit sie diese schikanieren können. Nun, ich offerierte den Herren nicht einmal einen Kaffee. Ich sagte ihnen, sie sollten froh sein, dass es noch Menschen gibt, die mit 65 oder älter noch etwas arbeiten können und dadurch nicht armengenössig werden. Kurz: Mit uns ist kein Geld zu verdienen. Punkt.

Haben Sie einen Businessplan?
Ja. Den hat aber meine Tochter mit ihrem Partner erstellt. Das interessiert mich aber eher weniger.



Wer sind Ihre Aktionäre?
«Rent a Rentner» ist inhabergeführt. Uns kann niemand dreinreden.



Mittels Ihrer Homepage können Rentner auch adoptiert werden.

Genau. Das sind Männer und Frauen, die sich kostenlos als Grosseltern anbieten. Bisher liessen sich ungefähr 25 Personen adoptieren. Demnächst schalten wir sogar ein weiteres Angebot auf. Es heisst «Date a Rentner». Hier geht es erst in letzter Linie um Partnervermittlung. Das Schwergewicht soll auf Interessengemeinschaften für Jassen, Wandern oder Ähnliches liegen.



Die Internetplattform «Rent a Rentner» wurde von Peter Hiltebrand, seiner Tochter Sarah Hiltebrand und deren Lebenspartner Reto Dürrenberger 2009 gegründet. Sie hat 5141 Mitglieder (Stand: 16. Februar 2016). Ab dem 60. Altersjahr können Rentnerinnen und Rentner ihre Dienstleistungen in den verschiedensten Bereichen anbieten: Büro- und Gartenarbeiten, Fahrdienste, Kinder-, Tier- und Haushüten. Möbel zusammensetzen oder Lampen aufhängen sind nur einige der Tätigkeiten, die in 308 Rubriken aufgeführt sind. Für Rentner sind die Grundfunktionen gratis. Auftraggeber bezahlen den vereinbarten Stundenlohn direkt an die gemieteten Rentner. Die Seite wird pro Tag durchschnittlich 220 Mal angeklickt.