14.10.2015
FOTOS UND TEXT: René Baumann

FCL-Sportchef Rolf Fringer kann nach zweijähriger Arbeitslosigkeit wieder lachen.

Seitenwechsel als Lösung

«Es geht immer eine neue Türe auf»

Nach seiner Entlassung als Trainer des FC Zürich war Rolf Fringer zwei Jahre lang ohne Job und Einkommen. Eine Weiterbildung zum Sportmanager ebnete ihm letzten Dezember den Weg zum Sportchef beim FC Luzern.

Rolf Fringer, arbeiten Sie, um zu leben, oder leben Sie, um zu arbeiten?
Schwer zu sagen. Ich denke, ich bin ein Typ dazwischen. Es ist nicht so, dass ich das Leben geniessen will und nur das Nötigste arbeite. Ich bin aber auch keiner, der Tag und Nacht schuften und vom Leben nichts haben will. 

Nach Ihrer Entlassung beim FC Zürich im November 2012 waren Sie zwei Jahre lang arbeitslos. Was macht man als Trainer so lange ohne Arbeit und ohne Einkommen?
Da ich immer wusste, dass diese Entlassung zu Unrecht erfolgt war, konnte ich optimistisch bleiben. Zudem spielte auch eine private Entwicklung in diese Zeit hinein, die meiner ganzen Aufmerksamkeit bedurfte. Die 20-jährige Tochter meiner Lebenspartnerin war rund zwei Jahre vorher mit dem Auto tödlich verunfallt. Ich konnte meiner Partnerin bereits vor meinem Engagement beim FC Zürich ein Jahr lang unterstützend beistehen und bekam nun nochmals zwei Jahre Zeit, damit wir diese schwere Phase gemeinsam bewältigen konnten. Ich sah dies als Aufgabe, die mir quasi von einer höheren Stelle zugeteilt worden war. Ich wurde praktisch abkommandiert, aber ich war auch bereit dazu. Zudem war ich hundertprozentig überzeugt davon, nachher wieder einen Job zu finden. So kam es denn auch: Ich erhielt den aktuellen Job als Sportchef des FC Luzern. 

Das betrifft den Aspekt Arbeit und Zeit, aber ein Einkommen hatten Sie deswegen trotzdem nicht. Haben Sie sich beim Arbeitsamt angemeldet?
Nein, ich hatte das Glück, dass ich es mir leisten konnte, zwei Jahre von meinen Ersparnissen zu leben. Hätte ich das nicht gehabt, wäre ich mir aber nicht zu schade gewesen, mich beim Arbeitsamt anzumelden. 

Es hätte Sie also nicht gestört, Arbeitslosengelder zu beziehen?
Nein, absolut nicht. Ich war 2003, nach meiner Zeit in Aarau, für ein halbes Jahr beim RAV gemeldet. Danach wollte ich – nicht zuletzt wegen privater Probleme – ins Ausland und erhielt den Trainerjob in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ich hatte zuvor ja wie alle anderen Arbeitnehmer regelmässig in die Arbeitslosenkasse eingezahlt. Und ich wollte so auch zeigen, dass ich ein ganz normaler Mensch und nicht abgehoben bin, nur weil ich einst Nationalcoach und Trainer in der Bundesliga war. Dieser Schritt zeigte den Leuten auf, dass auch ein erfolgreicher Fussballtrainer einmal in eine solche Situation geraten kann. Aber natürlich musste ich mit entsprechenden Schlagzeilen in der Boulevardpresse leben.

«Ich wollte so auch zeigen, dass ich ein ganz normaler Mensch und nicht abgehoben bin.»

Sie mussten also jeden Monat Jobbewerbungen vorweisen und an Arbeitsmassnahmen teilnehmen?
Ja, das habe ich selbstverständlich gemacht. Ich besuchte auch verschiedene Kurse und Kaderseminare, die mich weiterbrachten. Meine Englischkenntnisse konnte ich ebenfalls auffrischen und kam so in der Folge zu meinen drei Auslandanstellungen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Zypern und Griechenland, wo Englisch notwendig war. 

Sie übten als Fussballtrainer rund 26 Jahre lang eine Tätigkeit aus, die eigentlich nur eine kurze Lebenszeit hat. Zwischen 1997 und 2012 wurden Sie fünfmal entlassen und waren insgesamt rund fünf Jahre lang ohne Job. Haben Sie deshalb die Seite gewechselt und wurden Sportchef beim FC Luzern?
Da muss ich kurz zurückblenden. Ich war bereits im Alter von 28 Jahren erstmals Spielertrainer, das ist ungewöhnlich. Ich sammelte also früh sehr viele Erfahrungen im In- und Ausland, auf verschiedenen Stufen. Irgendwann dachte ich, dass ich diese Erfahrungen für etwas Neues verwenden möchte. Vielleicht im Management. Ich besuchte 2006 einen Sportmanagementkurs an der Zürcher Fachhochschule in Winterthur und schrieb meine Diplomarbeit über Führung im Fussball. Dann bot sich letzten Winter die Situation in Luzern an, wo ich früher Spieler und drei Jahre lang Trainer war. Ich wurde dort im Mai 2011 auf eine Art und Weise entlassen, die nicht in Ordnung war. Das war allen bewusst, und ich sagte mir, dorthin will ich zurück, weil ich das Gefühl hatte, dies zu verdienen. Und siehe da: Plötzlich ergab sich aufgrund der Probleme beim FC Luzern, dank meiner Weiterbildung und wegen der Vergangenheit eine Synergie. Für mich war das kein Zufall: Wenn ein Mensch etwas unbedingt will, viel dafür tut und sich weiterbildet, dann geht immer eine Türe auf.

Das müssen Sie uns noch näher erklären.
Ich hatte immer Visionen, schon als kleiner Bub. Da wollte ich unbedingt Fussball spielen, wurde also Spieler und schaffte es auf die höchste Stufe, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht optimal waren und ich keine professionelle Förderung wie heute genoss. Dann kam früh die Vision, Trainer zu werden. Ich machte die verschiedenen Diplome, wurde Trainer und hatte sofort grossen Erfolg. Ich wollte im Fussballbusiness bleiben. Mein ganzes Leben hat sich um den Fussball gedreht. 

Früher wurden Sie entlassen, und jetzt sind plötzlich Sie selber in der Position, Trainer zu entlassen. War das insgeheim der Grund, Sportchef zu werden?
Nein, überhaupt nicht. Ich spürte plötzlich, dass ich nicht dafür geschaffen bin, bis ans Lebensende Spielern zu erklären, was Taktik und System bedeuten, und war offen für eine neue Herausforderung. Nach meiner Entlassung beim FC Zürich musste ich einen zweijährigen Gerichtsfall über mich ergehen lassen. Diese mühsame Zeit war für mich allerdings auch eine wertvolle Erfahrung. Ich versuche nun, die Rahmenbedingungen so zu steuern, dass sie dem Trainer und der Sportabteilung entgegenkommen. Es versteht sich für mich von selber, dass ein Sportchef alles vorkehrt, um mit dem Trainer eine gewisse Konstanz zu erreichen.

«Ich spürte ab dem ersten Tag, dass ich am richtigen Ort bin.»

Haben Sie Ihren Entscheid noch nie bereut?
Überhaupt nicht, im Gegenteil! Ich spürte ab dem ersten Tag, dass ich am richtigen Ort bin. Wenn ich zurückblicke, wird für mich klar, dass es für mich nichts anderes geben konnte als diesen Weg. Erst Spieler, dann lange Trainer und schliesslich Sportchef. So verstehe ich die Spieler besser, und natürlich kann ich mich gut in die Rolle des Trainers hineindenken. Das ist der beste Rucksack für einen Sportchef. Aber man muss der Typ dafür sein. Ich war nie ein verrückter Trainer, der ausflippte und an der Seitenlinie hin und her rannte. Ich wusste, dass ich auch im Büro arbeiten kann, ohne dass mir etwas fehlt. Ich bin überzeugt, dass in Zukunft immer mehr Trainer auch Sportchef werden.

Trainerentlassungen sind in der Schweiz an der Tagesordnung. Auch diese Saison haben bereits wieder vier Vereine den Trainer gewechselt. Wie denken Sie darüber?
Für mich ist das eine krankhafte Entwicklung. In der Schweiz ist die Situation noch angespannter als im Ausland. Wir haben nur zehn Mannschaften in der besten Liga. Wenn man in Spanien mit 20 Teams vom 7. auf den 12. Platz zurückfällt, hat das nicht die gleiche Auswirkung wie hier in der Schweiz. Wer in unserer Topliga fünf Ränge zurückfällt, der kriegt grosse Probleme. Da werden alle nervös und denken, dass der Trainer die Schuld trägt. Meine Erfahrungen sagen mir jedoch, dass die meisten Entlassungen aufgrund von Führungs- und Managementfehlern entstehen. Oft werden die Ziele falsch gesetzt. Unrealistisch hohe Ziele! So machen die Clubs den Trainern das Leben unnötig schwer. Ich behaupte, die Trainer sind selten an einer Misere schuld, aber leider immer verantwortlich.

Stationen als Trainer

FC Schaffhausen (1990–92); FC Aarau (1992–95); VfB Stuttgart (1995–96); Schweizer Nationalmannschaft (1996–97); Grasshopper Club Zürich (1998); FC Aarau (2000–02); Al-Wahda, Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate (2003); Apollon Limassol, Zypern (2004), PAOK Saloniki, Griechenland (2004–05); FC St. Gallen (2006–07); FC Luzern (2008–11); FC Zürich (2012).

Sie wurden gleich mehrere Male entlassen, obwohl Sie kurz zuvor mit der Mannschaft noch Erfolge gefeiert hatten. So bei den Grasshoppers, in Abu Dhabi, Saloniki oder auch in Luzern. Wie ist das erklärbar?
Nach meiner Scheidung im Jahr 2000 hatte ich diese kurzen Engagements richtiggehend angezogen und im Unterbewusstsein auch gesucht. Ich wollte unbedingt mit meinen beiden noch kleinen Kindern aufwachsen. Die Vorstellung, irgendwo fern meiner Kinder zu arbeiten und sie fast nie zu sehen, war schlimm. Wenn man so fühlt, dann zieht man gewisse Entwicklungen auch an. In Zypern gab ich gar meinen Vertrag zurück, weil alles chaotisch verlief und ich lieber zurück in die Schweiz wollte. Diese Phase dauerte rund zehn Jahre, in denen ich sehr viele Auszeiten erlebte. Ich war immer wieder viele Monate ohne Job, dafür aber mit meinen Kindern zusammen. Für mich stimmte es so. Für die Öffentlichkeit aber war ich der gescheiterte Trainer, der überall nur ein paar Monate im Amt war.

Der Trainerjob und ein geordnetes Familienleben können demnach nicht nebeneinander funktionieren?
Die beiden Dinge sind ganz sicher schwer kompatibel. Ein Trainer befasst sich 24 Stunden mit Fussball, kann zuhause nicht einfach abschalten. Aber das ergeht den meisten Führungspersonen so. Job und Familie können nur dann funktionieren, wenn der Mann von der Ehefrau vorbehaltlos unterstützt wird.

Das war sicherlich eine schwierige Zeit: Arbeitslosigkeit, Scheidung, Tätigkeiten im Ausland. Wie haben Sie das neben all dem Erfolgsdruck im Beruf überstanden?
Ich hatte den Vorteil, dass ich gleich zu Beginn meiner Trainerkarriere mit B-Ligist Schaffhausen, dem sensationellen Meistertitelgewinn in Aarau, dem Engagement in Stuttgart, der Verpflichtung als Nationalcoach und dem Titelgewinn mit den Grasshoppers sehr erfolgreich war. Dieses erworbene Selbstvertrauen gab mir die Gewissheit, dass ich ein guter Trainer bin und immer wieder einen Job kriegen würde. Ich wusste, dass ich ohne die privaten Schwierigkeiten noch erfolgreicher hätte sein können. Ich war in jenen Jahren nicht an meiner Qualität als Trainer gescheitert, sondern primär wegen privater Probleme. Ich musste sehr vieles einstecken, aber ich war bereit, zu kämpfen. Ich hatte immer den Stolz und den Willen dazu. Die vielen Auszeiten zwischen den Jobs schenkten mir viel Zeit für die Kinder, was für mich moralisch entscheidend war. Zudem haben mir die Pausen geholfen, dass ich nicht ausbrannte. Ich konnte meine Energiespeicher immer wieder komplett auffüllen und mit neuem Elan angreifen.

Wie wurde eigentlich im Ausland mit den Angestellten umgegangen?
Mit Ausnahme der Tätigkeit in Stuttgart waren meine Engagements im Ausland schon speziell. Die jeweils halbjährigen Verpflichtungen in Abu Dhabi, Limassol und Saloniki erweiterten meinen Horizont und stellten spannende Abenteuer dar. Zudem waren die sportlichen Ergebnisse in Ordnung. Aber es gab nicht nur positive Erfahrungen. Als ich mich nach längerem Warten auf den ausstehenden Lohn für meine unzufriedenen Spieler einsetzte, wurde ich in Griechenland kurzerhand entlassen. Auf Zypern war Korruption allgegenwärtig. In Abu Dhabi war der Kulturunterschied zur Schweiz hochinteressant, aber der Fussball hatte keinen hohen Stellenwert. Wir erreichten zwar den Cupfinal, dennoch wurden alle Entscheidungsträger danach ausgetauscht. Ich war jedoch glücklich, wieder nach Hause gehen zu können.

Zum Schluss: Wissen Sie schon, was Sie im Februar 2022 tun werden?
(Studiert und lacht dann.) Werde ich dann pensioniert? Also ich freue mich sicher nicht schon jetzt auf meine Pensionierung, dafür arbeite ich zu gerne. Je nach Entwicklung kann ich mir aber schon vorstellen, dass ich es einmal geniessen werde, mehr Freizeit für mich und meine Lieben zu haben. Ob das im Jahr 2022, vorher oder Jahre nachher sein wird, darüber mache ich mir jetzt noch keine Gedanken. Momentan bin ich zufrieden und glücklich in meinem Job und brauche nichts anderes herbeizusehnen. 

Zur Person

Der gebürtige Österreicher Rolf Fringer, 58, lebt seit seiner Jugendzeit in der Schweiz und blickt auf eine erfolgreiche Karriere als Fussballtrainer zurück. Nach einer zweijährigen Auszeit ist er nun seit Dezember 2014 Sportchef beim FC Luzern und wohnt in Stansstad (NW). Er ist geschieden und hat zwei erwachsene Kinder, Michel, 26, und Aline, 22.