21.09.2015
TEXT: Tomas HricoFOTO: Oskar Alessio, SRF
Regisseurin Belinda Sallin kennt beide Seiten des Dokumentarfilmgeschäfts, die der Geldgeber sowie die der Macher.

Belinda Sallin, Chefin der Abteilung DOK bei Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) und Autorin der Kinodokumentation «Dark Star – H.R. Gigers Welt».

Doku-Filmemacherin

Den «Dunklen Stern» beleuchten

Regisseurin Belinda Sallin erlangte durch den Kinofilm «Dark Star – H.R. Gigers Welt» über den Künstler Hansruedi Giger schweizweit Aufmerksamkeit. Sie kennt beide Seiten des Filmemachens: Als Chefin DOK bei Schweizer Radio und Fernsehen ist sie in der Rolle als Geldgeberin, als freie Filmemacherin muss sie selber auf Geldsuche.

Belinda Sallin, fühlen Sie sich zum Gruseligen hingezogen?
Sagen wir es mal so: Ich besitze eine bestimmte Affinität für düstere Kunst. Das Mysteriöse, Dunkle und Unbekannte zieht mich an. Mir gefällt dabei die Antithese zur gängigen Shiny-, Glitzer- und Glamour-Konsumwelt. Das Wort «gruselig» wäre mir bei H.R. Gigers Kunstwerken jedoch nicht als erstes in den Sinn gekommen, obwohl mir durchaus bewusst ist, dass viele Menschen seine Arbeiten so bezeichnen würden.

Ihr Kinofilm über Hansruedi Giger zeigt den Künstler auch von einer anderen Seite. Was hat Sie dazu veranlasst, gerade über ihn eine Dokumentation zu drehen?
Ich bin eher zufällig auf Hansruedi Giger gestossen. Seine ehemalige Lebenspartnerin Sandra Beretta habe ich an einem privaten Fest kennengelernt. Da wir beide aus der Romandie stammen, haben wir uns auf Französisch unterhalten. Das hat uns verbunden. Sie erzählte mir, dass sie mit H.R. Giger gelebt hatte, was mein Interesse weckte. Ich kannte H.R. Gigers Arbeiten schon seit meiner Jugendzeit, so zum Beispiel waren mir seine Plattencovers der britischen Musikband Emerson, Lake & Palmer bestens vertraut. Ebenfalls sah ich mir «Alien» im Kino an. Der Film erschreckte mich zutiefst, jedoch faszinierte mich die darin eingearbeitete Kunst H.R. Gigers, und diese ging mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf.

Welchen Eindruck hatten Sie von H.R. Giger, als Sie ihn dann persönlich trafen?
2011 besuchte ich zusammen mit Sandra Beretta H.R. Gigers Anwesen in Zürich-Oerlikon. Ich war von der Einrichtung regelrecht begeistert. So etwas hatte ich zuvor noch nie in meinem Leben gesehen. Es war sehr düster, viele Wände waren schwarz und mit seiner Kunst versehen. Ich erblickte auch zahlreiche Totenschädel und Schrumpfköpfe. Erstaunlicherweise fühlte ich mich trotzdem wohl. Dies hatte mit H.R. Giger persönlich zu tun. Ich war angenehm überrascht, als ich ihn an diesem Abend kennenlernte, denn er wirkte überhaupt nicht so, wie ich es mir vor der Begegnung vorgestellt hatte. Ich dachte, er sei ein Mensch, der sich eher distanziert und reserviert verhalte. Doch genau das Gegenteil trat ein: Er war sehr liebe- und humorvoll, so dass wir uns auf Anhieb sehr gut verstanden. Die Kunstwerke im Haus hat Hansruedi Giger im Laufe der Jahrzehnte immer wieder verändert und weiterentwickelt. Und dass er so anders war, war ein Grund mehr, weshalb ich unbedingt einen Dokumentarfilm mit ihm und über ihn machen wollte.

Es ist bekannt, dass Giger ein zurückgezogenes Leben abseits des öffentlichen Rummels führte. Er mochte es nicht, im Mittelpunkt zu stehen, und gewährte nur wenigen Menschen Einblick in sein Privatleben. Wie haben Sie es geschafft, sein Vertrauen zu gewinnen und seine Zusage für diese Dokumentation zu bekommen?
Dies hat mehrere Gründe. Einer war, dass ich durch seine ehemalige Lebenspartnerin eine gute Türöffnerin hatte. Des Weiteren hat H.R. Giger sehr schnell gemerkt, dass ich mich mit seinem Werk seriös auseinandergesetzt habe. Er hat einmal zu mir gesagt, ich würde sein Werk mittlerweile besser kennen, als er es selbst tue. Wenn ich etwas anfange zu recherchieren, dann mache ich es sehr seriös. Das merken die Leute und wissen es zu schätzen. Sie sagen sich dann: Ja, das ist eine Person, die die richtigen Fragen stellt und weiss, wovon sie redet. Ausschlaggebend für Gigers Vertrauen war ebenfalls die Tatsache, dass ich bei meinen Dokumentationen jeweils stark auf die Protagonisten eingehe. Das heisst, ich höre meinem Gegenüber genau zu, was für ihn möglich ist, wo seine Grenzen liegen und welche Aussagen nicht an die Öffentlichkeit gelangen dürfen. Dies sind Dinge, die ich respektiere.

Ist es tatsächlich nur eine Frage des Vertrauens, oder braucht es noch mehr, um solche Filmprojekte umzusetzen?
Ich sollte noch erwähnen, dass es ebenso eine grosse Portion an Glück braucht. In meinem Fall war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. H.R. Giger schien dies auch zu spüren. Denn er teilte mir mit, er mache bei meinem Projekt zwar mit, doch es sei das allerletzte Mal, dass er so etwas tue. Danach wolle er sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Ich glaube, er hat damals bereits gespürt, dass er nicht mehr lange unter uns weilen würde, und wollte für seine Fangemeinde seine letzte Performance abliefern – eine Art Vermächtnis.

Mit welchen Schwierigkeiten wurden Sie bei den Dreharbeiten konfrontiert?
Eine der grössten Hürden war der Gesundheitszustand von Hansruedi Giger. Wie man im Film sehen kann, wirkt er teilweise angeschlagen und kraftlos. Ich musste die Dreharbeiten sehr genau planen. Bei Dokumentarfilmen ist es häufig so, dass der Regisseur den Dreh zwar plant, im Nachhinein aber vieles offenlässt und zusieht, was passiert. Dies bedeutet aber auch, dass die Protagonisten gut mitmachen und in Form sein müssen. Die Crew ist von frühmorgens bis spätabends am Drehen, gewisse Szenen werden wiederholt, besprochen und so weiter. Dies war bei H.R. Giger nicht möglich. Er hatte schlicht nicht die Energie, um solche Drehtage zu bestreiten. Aus diesem Grund musste ich mit meinem Filmteam alles bis ins kleinste Detail durchgehen, sämtliche Szenen mussten wir minutiös planen. So gab es auch Situationen, in denen H.R. Giger zum Dreh nicht erscheinen wollte und ich ihn dazu überreden musste. Das war auch vor seinem letzten Besuch im H.R. Giger Museum in Gruyères der Fall.

Was war denn Ihr Höhepunkt bei diesem Filmprojekt?
Dass wir den Film über H.R. Giger überhaupt erst drehen durften, war für mich das grösste Highlight. Es war zudem fantastisch, H.R. Giger sowie den vielen anderen Menschen aus seinem Umfeld zu begegnen. Ausserdem war die Filmpremiere für mich etwas ganz Spezielles. Einerseits war ich wahnsinnig nervös, wie die Leute reagieren würden, und zweitens kamen in mir viele Emotionen hoch. Die Tatsache, dass wir es endlich geschafft hatten und unmittelbar vor der Filmpremiere standen, weckte in mir Glücksgefühle. Das einzig Traurige war, dass H.R. Giger dies nicht mehr miterleben konnte. Nach der Filmvorführung beobachtete ich zahlreiche strahlende Gesichter, aber auch eine Menge fliessende Tränen.

Leider verstarb H.R. Giger letztes Jahr kurz nach den Dreharbeiten.
Wie sind Sie mit diesem Verlust umgegangen beziehungsweise was hat sich für Sie dadurch geändert?
Es war ein Riesenschock für mich, als ich erfuhr, dass H.R. Giger verstorben war. Es kam zwar nicht komplett überraschend, denn schon während der Dreharbeiten liess sein gesundheitlicher Zustand bei mir grosse Bedenken aufkommen. Ich wusste einfach nicht, wie lange er noch imstande sein würde, mitzumachen. Wir haben noch fünf Tage vor seinem Tod ein Fotoshooting für das Filmplakat realisiert. Da dachte ich, das Schlimmste sei überstanden und es könne nichts mehr passieren. Zu H.R. Giger sagte ich, er könne sich endlich gemütlich zurücklehnen und die Filmpremiere abwarten. Nie hätte ich gedacht, dass er kurze Zeit später sterben würde. Damit umzugehen, war für mich nicht einfach. H.R. Giger war ein Mensch, den ich sehr mochte und schätzte.

Fotos: zVg.

Wie schwierig war es, an genügend Gelder für die Produktion des Films zu kommen?
Wir hatten mit einigen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, was mich anfänglich doch recht erstaunte. H.R. Giger war schliesslich ein international bekannter Künstler, der grossen Einfluss ausübte. Dennoch wurde er im Kunstestablishment nicht anerkannt. Es existierten etliche Aversionen. Viele lehnten Gigers Kunst ab und meinten, man brauche keinen derartigen Film zu produzieren. Ich habe diese Abneigungen ein wenig unterschätzt. Schlussendlich haben wir es aber geschafft, mussten dafür aber hart arbeiten. So haben etwa die Zürcher Filmstiftung, der Kanton Graubünden sowie der Verlag Edition Patrick Frey Geld in das Projekt investiert. Nebst dem standen uns Prämien zur Verfügung, die uns der Bund für frühere erfolgreiche Projekte zugesichert hatte.

Für Ihre eigenen Filme müssen Sie sich jeweils eine Finanzierung sichern. Als Chefin der Abteilung Dok beim Schweizer Fernsehen kennen Sie aber auch die Seite der Geldgeber. Sie entscheiden mit, welche Filme produziert und gesponsert werden.
Wie fühlt sich dieser Rollenwechsel an?
Der Rollenwechsel ist interessant. Ich bin immer wieder froh darüber, in beiden Positionen vertreten zu sein. Es schärft mein Bewusstsein für das, was es bedeutet, innerhalb einer bestimmten Position zu wirken. Zum Beispiel musste ich einmal jemandem erklären, weshalb ich sein Projekt nicht unterstützen kann. Dabei wusste ich genau, wie sich diese Person innerlich fühlte. Denn ich selbst habe schon mehrmals derartige Absagen erlebt. Darum bin ich immer sehr sorgfältig bei meinen Begründungen und niemals despektierlich. Es hilft zudem meiner Glaubwürdigkeit, wenn die Personen, mit denen ich zusammenarbeite, wissen, dass ich früher in ähnlichen Situationen steckte. Mein Vorgesetzter sagt, ich hätte eine gute «street credibility», da ich in beiden Rollen, sowohl Geldgeberin als auch Geldnehmerin, vertreten bin.

Was fasziniert Sie an Ihrem Beruf beziehungsweise weshalb wollten Sie
Filmregisseurin werden?
Mein Beruf erlaubt es mir, an die ungewöhnlichsten Orte zu kommen und ganz besonderen Leuten zu begegnen. Ich setze mich mit Welten auseinander oder mit Ideen und Konzepten, neuen Lebensentwürfen, die ich in einem komplett anderen Beruf sogleich wieder verwerfen müsste, da sie schlicht nicht realisierbar wären. Für mich ist es ein grosses Privileg, als Filmregisseurin tätig zu sein. Es ist eine Erweiterung des eigenen Horizontes. Ich kann meine Vorstellungen in die jeweiligen Projekte einfliessen lassen und diese hin und wieder auch umgestalten. Das ist für mich ein Hirntraining. Nicht nur analytisch oder intellektuell, sondern auch emotional. Ich finde, es bereichert mein ganzes Dasein als Mensch.

Welche Rolle spielt das Publikum für Sie?
Als Filmregisseurin habe ich natürlich ein Mitteilungsbedürfnis an die Menschen da draussen. Ich möchte ihnen etwas mitgeben, sie auf bestimmte Dinge aufmerksam machen und sie zum Nachdenken anregen.

Sie haben jahrelang auch als Journalistin für das Politmagazin «Rundschau» gearbeitet. Seit 2008 sind Sie bei SRF als Dokfilmautorin tätig und haben 2009 eine Produktionsfirma mit dem Namen «Lucky Film GmbH» mitbegründet. Wie schaffen Sie es, Filmproduktion und journalistische Arbeiten unter einen Hut zu bringen?
Für mich ist es kein Widerspruch. Journalismus heisst im Grunde, zu recherchieren und genau hinzuschauen. Es stellt für mich eine Basis dar, auch im Bereich meines dokumentarischen Schaffens. Im Fernsehen bin ich als Teilzeitangestellte zu 70 Prozent tätig. Die restliche Zeit verwende ich für meine eigenen Filmprojekte.

Was war bisher Ihre grösste Herausforderung?
Eine der grössten Herausforderungen in meinem Leben war die Verarbeitung des Tods meines Vaters, der schon sehr früh starb – ich war damals dreizehn Jahre alt. Meine Mutter war finanziell nicht gut abgesichert und mit ihren drei Kindern auf sich alleine gestellt. Beruflich musste ich mit 35 die «Rundschau»-Leitung – bis dahin war ich dort Redaktorin – übernehmen. Damals war ich die erste und zugleich die jüngste Frau, die mit dieser Aufgabe betraut wurde. Gleichzeitig brachte ich mein erstes Kind zur Welt.

Wofür interessieren Sie sich nebst Ihren beruflichen Tätigkeiten?
Für Freizeitaktivitäten bleibt in meinem Leben leider nicht viel Zeit, zumal ich auch eine Familie – meinen Ehemann und zwei Kinder – habe. Was mich aber interessiert, ist Musik. Als Studentin des klassischen Gesangs habe ich mich lange mit dieser Musik beschäftigt. Ich liebe Opern. Ausserdem bin ich grosser Heavy-Metal-Fan und spiele in einer Band, die sich «Weiss» nennt. Zurzeit ist dies jedoch sehr selten der Fall. Nebenbei lese ich wahnsinnig gerne.

Was ist Ihr grösster Traum?
Schwierig zu sagen, denn ich mache bereits das, was mich erfüllt. Ich würde dies gerne fortführen und eines Tages sogar einen weiteren Kinofilm produzieren. Das entsprechende Thema ergibt sich bei mir meistens von selbst. Und das erst, wenn die Zeit dafür reif ist.

Woran arbeiten Sie aktuell?
Momentan arbeite ich an einer Fernsehdokumentation über den Schweizer Fotografen und Philanthropen Hannes Schmid. Ich werde Ende Oktober 2015 nach Kambodscha fliegen, um die ersten Szenen mit ihm zu drehen.