Veröffentlicht am 15.04.2015TEXT: Annekatrin KapsFOTO: Annekatrin Kaps

So viel Spass haben nicht alle beim Pendeln.

Der Kluge arbeitet im Zuge

Annekatrin Kaps
Journalistin «der arbeitsmarkt»

Was sich nach einem neuen Slogan der Schweizerischen Bundesbahnen anhört, ist schlichtweg bittere Realität vieler Werktätiger mit Pendelkarriere. Der naheliegende Gedanke, die Zeit sinnvoll zu nutzen, ist verständlich, doch die Umsetzung voller Tücken.

Denn wer kann schon ernsthaft arbeiten, wenn er von seinen Zeitgenossen mit ach so wichtigen Geschäftsgesprächen ständig gestört wird? Wie etwa bei derartigen Unterredungen: «Ich bin im Fall im Zug, also, was ich eigentlich sagen wollte, das Projekt Heureka müssen wir noch aufgleisen, Achtung - jetzt kommt gleich der Tunnel, falls ich aus der Leitung fallen sollte,  wir können das ja später im Büro genauer anschauen.... »

Lästig ist es auch, durch passionierte Fachgespräche unterbrochen zu werden, diskutieren die selbsternannten Experten doch gern in erhöhter Lautstärke. «Wenn man von der Enthalpie als Legendre-Transformierte der inneren Energie bezüglich des Volumens ausgeht...», tja, wie nun weiter? Kein Wunder, dass der eigene Gedankenfluss bei derartigen Nebengesprächen ins Stocken kommt.

Ganz zu schweigen von den armen Kindergärtnerinnen, die beim gemeinsamen Fuchs-du-hast-die-Gans-gestohlen-Singen den verständnislosen Blicken der Mitreisenden ausgesetzt sind, von denen einige sogar despektierlich die Augen verdrehen.

Mal ganz abgesehen von dem akrobatischen Aufwand, den man betreiben muss, wenn man mit Laptop, iPhone und Walkman sich mit einem Sitz bescheiden muss. Bedroht von handarbeitenden Nachbarn, die mit riesigen Nadeln bewaffnet, unbekümmert vor sich hin stricken. Die Textilarbeitenden sind im Übrigen ein nicht zu unterschätzender Sektor der Pendler. Wenn man grosses Glück hat, kann man sogar den einen oder anderen Studenten beobachten, der seine Kleider flickt und das gar nicht mal so ungeschickt.

Andere erledigen ihre Post noch ganz konservativ auf Papier oder schreiben dieses anderweitig voll. Wie viele Weiterbildungen schon in den Zügen der Schweizerischen Bundesbahnen absolviert wurden, harrt noch der systematischen Erforschung, taugt aber als Gesprächsthema allemal. Auch das gruppendynamische Dösen, dem sich die meisten nach dem Studium eines Gratisblattes nicht entziehen können, ist harte Arbeit. Das kann jeder Zweitklasse-Pendelnde bestätigen, der schon mehr als einmal versucht hat, mit angezogenen Beinen und eingeklappten Ellenbogen aufrecht sitzend ein-, durch- oder auszuschlafen.

Wenn schon pendeln, dann richtig

Rechnet man das ganze Ungemach zusammen und bedenkt die verschwendete Arbeitszeit, liegt es auf der Hand: So kann es nicht weiter gehen! Die Lösung dagegen ist bestechend einfach,  zumal von der Routine der Pendler ausgegangen werden kann. Man setze die Berufstelefonierer an das eine Ende des Wagens, das Entgegengesetzte ist den Power-Nappern vorbehalten. Da auch alle Lernbegierigen Ruhe schätzen, sollten diese die nächsten Sitze einnehmen. Dabei ist darauf zu achten, dass sich Laptopbesitzer und andere verkabelten Gerätebenutzer nahe der Steckdosen niederlassen. So werden unnötige Verwirrungen vermieden, die wiederum Zeitverlust generieren könnten.

Die handarbeitenden Mitreisenden bilden die nächste geschlossene Gruppe, so bleiben allfällige Arbeitsunfälle sozusagen in der Familie. Zum anderen können Erfahrungen ungezwungener ausgetauscht werden. Die Unterhaltungskünstler und Vielredner können problemlos durchmischt werden, Gesprächspausen lassen sich derart besser überbrücken.

Für das Bahnpersonal sollte durch dieses leicht realisierbare Konzept kein Mehraufwand entstehen. Die Umsetzung muss möglicherweise länger eingeübt werden, doch dürfte der Nutzen diesen Aufwand mehr als rechtfertigen. Dabei sein war vielleicht früher alles. In der besten aller globalisierten Welten muss es heutzutage schon etwas effizienter sein. Ganz im Sinne unserer Leistungsgesellschaft arbeitet der Kluge dann noch mehr im Zuge.