Veröffentlicht am 30.07.2013TEXT: Patrick_HergerFOTO: Simone Gloor

Der Zorn der ewig Suchenden

Patrick_Herger
Journalist «der arbeitsmarkt»

Da sitze ich nun also vor meinem in Mappe und Kuvert eingeschlagenem Bewerbungsdossier, klebe die obligatorische Marke auf und adressiere das Ganze fein säuberlich. Zuvor habe ich einen Lebenslauf verfasst – komplett natürlich, mit allen Daten und Fakten aus meinem bisherigen Werdegang. Allein dieser Aufwand hat mich mehrere Stunden gekostet, von hochwertigem Papier, Druckertinte und einem hohen Mass an Fantasie und Kreativität ganz zu schweigen. Schliesslich soll dieses «Projekt» aussagekräftig und professionell sein, wenn es dann vom zuständigen Personalmitarbeitenden geöffnet wird. Ich habe gute zweihundert Franken bei einem professionellen Fotografen ausgegeben, um ein ansprechendes Ergebnis an Bewerbungsfotos zu bekommen – mit dem ich letztendlich sowieso nie zufrieden bin. Die Person, die mir mit steifem Lächeln und unbequemer Garderobe entgegenblickt, bin ganz sicher nicht ich. Aber ich muss seriös wirken, geschäftsmässig, sonst klappt das nie mit der neuen Stelle! Nachdem ich nun also im Internet über das Unternehmen recherchiert und ein Bewerbungsschreiben fernab des Stereotyps entwickelt habe – denn das ist wichtig, sagen die Leute zumindest – wird alles ausgedruckt, eingetütet und zum Briefkasten gebracht. Stunden-, tagelange Arbeit, die sich lohnen soll.

Dann kommt das böse Erwachen. Nicht einmal drei Tage später flattert die Absage ins Haus. Ich brauche den Brief nicht mehr ganz zu lesen. Die nötigen Floskeln, die mir sagen, was ich wissen muss, kenne ich inzwischen auswendig und weiss, wo sie sich befinden. Das habe ich nun also von all meiner Mühe: Ein Standardabsageschreiben, Marke 08/15 – ein Aufwand von vielleicht fünf Minuten, vermutlich noch im Serienbrief verfasst und verschickt an wer weiss wie viele andere Kandidaten noch. Wo bleibt da der gegenseitige Respekt? Aus welchem Grund habe ich mir nochmal soviel Arbeit gemacht? Wieso habe ich so viel Geld, Zeit und Herzblut investiert? Für eine Ablehnung, die grotesk und dabei immer gleich formuliert ist, vor Rechtschreibfehlern strotzt und mir trotzdem sagt: Du warst nicht gut genug, vielleicht beim nächsten Mal!

In RAV-Kursen und Weiterbildungen wurde mir eingetrichtert, wie ein Geschäftsbrief im heutigen Zeitalter auszusehen hat, wie er geschrieben und formatiert sein soll. Keine Standardfloskeln mehr, keine Baukastensätze, die ich mit wenigen Klicks oder per Tastenkombination einfügen kann. Nein – kreativ und frisch soll das Ganze sein, auf den Leser hin geschrieben, auf ihn eingehend, mit ihm kommunizierend. «Fantastisch!», denke ich mir, «Genau so sollte es sein! Wirklich, ja, das klingt gut – mhm, so stelle ich mir das vor.» Mittlerweile schustere ich mir für den Betreff eines jeden Briefes einen möglichst humorvollen und ansprechenden, ich würde fast sagen: Werbeslogan zusammen. Mit viel Witz und vielleicht auch ein wenig frech formuliere ich das Anschreiben, versuche möglichst lässig und gleichzeitig fachmännisch daherzukommen. Ein Lächeln – das möchte ich beim Leser erreichen. Schliesslich haben die Leute von der Personalabteilung schon genug schlecht geschriebene und langweilig gestelzte Bewerbungsbriefe gesehen. Im Gedächtnis bleiben – das scheint das A und O, wenn der Bewerber sonst keine Beziehungen hat, um in der Firma der Schwester des Onkels des Cousins mütterlicherseits anfangen zu können.

Letztendlich bleibt mir in dieser Misere – dieser ewigen Suche nach einer neuen Stelle – nur der Triumph um das Wissen, auf dem neuesten Stand zu sein. Im Gegensatz zu den Leuten hinter den Unternehmen, bei denen ich so gerne arbeiten möchte. Der Rest ist Schweigen.