Veröffentlicht am 30.09.2014TEXT: Claudia KuhnFOTO: zvg

Unternehmen müssten ihre Mentalität gegenüber über 50-Jährigen ändern, sagt Stefano Scarpetta, Director Employment, Labour and Social Affaires bei der OECD.

Ü50 unerwünscht?

Um über 50-Jährige im Arbeitsmarkt aktiv zu halten, ist Weiterbildung und lebenslanges Lernen zwingend. Laut Fachpersonen stehen nicht nur die Arbeitnehmenden in der Pflicht.

Über 50-Jährige haben Mühe, nach einer Kündigung wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Viele von ihnen werden langzeitarbeitslos. Nicht nur in den Medien, auch auf politischer Ebene wird derzeit rege darüber diskutiert. So forderte beispielsweise der Ständerat in der Herbstsession eine Konferenz zum Thema. Doch was hält die über 50-Jährigen wirklich dauerhaft in Lohn und Brot?

In Zürich trafen sich Fachpersonen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zur Podiumsdiskussion «Ü50 – Lösungen sind gefragt!». Eingeladen hatte Lee Hecht Harrison, eine Firmengruppe, die in der beruflichen Neuorientierung sowie in der Personalentwicklung tätig ist.

Generalisten und Spezialisten betroffen

Ranjit de Sousa, Country Manager von Lee Hecht Harrison, sieht das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage an Kompetenzen als Hauptursache des Problems. Besonders drei Gruppen der über 50-Jährigen seien davon betroffen: solche mit einem sehr breiten, nicht spezialisierten Profil; die klassischen Generalisten, Personen mit einem sehr speziellen Profil, die über Jahre in der gleichen Position waren und ihr Profil nicht an veränderte Marktanforderungen angepasst haben und als dritte Gruppe Arbeitnehmende mit einer schwierigen persönlichen Ausprägung. Um diese Personen zu unterstützen, schlägt Ranjit de Sousa vor, dass Weiterbildungsinstitute – unternehmensinterne als auch externe – Ausbildungsprogramme für über 50-Jährige anbieten.

Unternehmen, die in den nächsten fünf bis zehn Jahren von Pensionierungswellen betroffen sein werden, könnten sich als Arbeitnehmer am Markt positionieren, indem sie über 50-Jährige einstellten, ist Ranjit de Sousa überzeugt. Als wichtigsten Baustein sieht er das langfristig ausgerichtete Karrieremanagement: Karriere im Sinne von kontinuierlichem, lebenslangem Lernen und Erhöhen der individuellen Arbeitsmarktfähigkeit. Hier gehe es nicht nur um die Eigeninitiative der Arbeitnehmenden, sondern auch um konkrete Angebote der Unternehmen. Führungskräfte müssten in die Verantwortung genommen werden und Gespräche zur Standortbestimmung mit jedem einzelnen Mitarbeitenden führen.

Weiterbildung am Arbeitsplatz

Lebenslanges Lernen sieht auch Stefano Scarpetta, Director Employment, Labour and Social Affaires bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als wichtigstes Instrument für die Beschäftigungsfähigkeit, der Employability, der über 50-Jährigen. «Das ist ein weltweites Problem. Die Mentalität der Unternehmen muss sich ändern. Wir müssen die Leute weiterbilden bevor sie Probleme haben.»

Dabei gehe es nicht um eine Anhäufung von Wissen, sondern darum, dass die Fähigkeiten an die Erfordernisse des Unternehmens angepasst würden. Er fordert Programme, die Menschen direkt am Arbeitsplatz weiterbilden. «Entgegen der landläufigen Meinung profitieren ältere Arbeitnehmende von Weiterbildungen um ein Vielfaches», ist Stefano Scarpetta überzeugt. Gleichzeitig betont er, dass es kein allgemein gültiges Rezept gibt: «Die verschiedenen Länder brauchen verschiedene Lösungen.»

Auch für Sibylle Olbert-Bock, Leiterin des Kompetenzzentrums Personalmanagement und Leadership an der Fachhochschule St.Gallen (FHS) stehen die Unternehmen in der Pflicht: «Die hierarchische Karriere existiert nicht mehr. Die Karriere ist flexibel. Das heisst, die Arbeitnehmenden müssen für die Employability selbst sorgen. Wer zahlt für die Weiterbildung, wenn die Kompetenzen für einen bestehenden Job altern, aber eine Weiterbeschäftigung dieser Person im eigenen Unternehmen nicht geplant ist? Möchte ein Unternehmen für Fähigkeiten zahlen, die die Arbeitnehmenden irgendwann in einem anderen Unternehmen einsetzen? Das ist unüblich, wäre aber nötig.»

Berufsbildung als Schulfach?

Für Michael Agoras, CEO Adecco Schweiz, sollte die Bildung für den Beruf bereits in der Schule beginnen. Er vermisst ein spezifisches Fach für dieses Thema. «Die Kinder gehen ab der 3. Sekundarklasse ins Berufsinformationszentrum (BIZ) und erkundigen sich, welche Berufe für sie spannend sind. Das ist zu spät. Anstatt einen Ausflug auf irgendeine Burg zu machen, sollten sie zu Adecco kommen, um sich über die Berufswelt zu informieren.»

Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes sieht das Problem weniger bei den Ü50, als bei den Fachkräften, die in der Schweiz fehlen. Diese könnten Unternehmen auch aus den über 50-Jährigen rekrutieren, ist er überzeugt. Allerdings bedinge dies, dass die älteren Arbeitnehmenden auf dem neusten Stand seien. «Der Arbeitsmarkt sollte flexibel bleiben. Das heisst konkret, dass die Fachkompetenz im Bezug auf das Pflichtenheft eines Arbeitsplatzes erhalten werden muss.»

Staatliche Regulierung unerwünscht

Eine staatliche Regulierung wie eine Quote für über 50-Jährige oder einen Kündigungsschutz lehnen die Experten ab. «Erfahrungen mit staatlichen Regulierungen aus den umliegenden Ländern zeigen meistens, dass diese nicht zu einer geringeren Entlassungsquote in der Zielgruppe führen, sondern im Gegenteil den Anreiz, Menschen über 50 einzustellen, stark reduziert», sagt Ranjit de Sousa von Lee Hecht Harrison. Auch die Verringerung der Pensionskassenbeiträge für ältere Arbeitnehmende helfe nicht wirklich. «Wenn der Gesetzgeber die Pensionskassenbeiträge für die Älteren erniedrigt, muss er diejenigen für die Jüngeren erhöhen, weil sonst das Geld fehlt», sagt Hans-Ulrich Bigler.

Persönliches Netzwerk nutzen

«Es gibt Branchen, bei denen hauptsächlich junge Mitarbeitende eingestellt werden und solche, wo das Alter keine grosse Rolle spielt oder durchmischte Teams erwünscht sind. Ü50-Stellensuchende sollten dies bei ihrer Bewerbung berücksichtigen», empfiehlt Sybille Olbert-Bock. Auch helfe ein Netzwerk und eine fachliche Unterstützung bei der Karriereplanung.

«Ein Vorstellungsgespräch heisst ja, dass sich sowohl das Unternehmen als auch der Arbeitnehmer präsentieren. Das Gespräch findet auf Augenhöhe statt. Wenn der Stellensuchende sich dessen bewusst ist, geht er mit einer anderen Haltung ins Gespräch», so Hans-Ulrich Bigler. Viel wichtiger als das Alter sei, dass die Person herausstelle, was sie konkret ins Unternehmen einbringe.

Aus der Praxis von Lee Hecht Harrison weiss Ranjit de Sousa: «Den über 50-Jährigen, die wieder erfolgreich im Arbeitsleben Fuss gefasst haben, war gemeinsam, dass sie sich ihr ganzes Arbeitsleben weitergebildet haben – auch nach dem Stellenverlust – dass sie ihr Netzwerk genutzt haben und sehr gezielt gesucht haben. Das heisst, sie haben viele informelle Gespräche geführt und sich nur auf wenige Inserate beworben.»

Gefahr Langzeitarbeitslosigkeit
Menschen über 50 sind in der Schweiz nicht häufiger arbeitslos als jüngere Arbeitssuchende. Doch die Gefahr in die Langzeitarbeitslosigkeit abzurutschen ist bei ihnen bedeutend höher.
Zahlen Im Jahr 2013 betrug die Arbeitslosenquote bei den über 50-Jährigen 2,6 Prozent. Sie liegt damit unter dem allgemeinen Durchschnitt von 3 Prozent. Die Ü50 haben insgesamt einen Anteil von 23,4 Prozent an den Erwerbslosen. 
Nicht erfasst In den Statistiken sind die Personen nicht berücksichtigt, die bereits ausgesteuert sind. Ebenfalls nicht diejenigen, die ihr Pensum reduzieren mussten, weil sie keine Vollzeitstelle mehr gefunden haben.
Langzeitarbeitslosigkeit Arbeitssuchende, die länger als 12 Monate bei der regionalen Arbeitsvermittlung (RAV) gemeldet sind, gelten als langzeitarbeitslos. Seit 2003 ist die Zahl der über 50-Jährigen Langzeitarbeitslosen um 10 Prozentpunkte gestiegen.
Unternehmen Nach einer Erhebung des Personaldienstleisters Adecco stellen nur noch ein Drittel der Schweizer Unternehmen über 50-Jährige ein.