Veröffentlicht am 29.08.2013TEXT: Sidonia HämmigFOTO: Simone Gloor

BP-Tankstelle in Wiedikon

Tiefkühlpizza rund um die Uhr

Die Abstimmung zur Teilrevision des Arbeitsgesetzes findet am 22. September 2013 statt. Die Befürworter wollen, dass Tankstellenshops in der Nacht das ganze Sortiment anbieten können. Die Gegner dagegen verhindern, dass der 24-Stunden-Arbeitstag im Detailhandel eingeführt wird.

Tankstellen dürfen einen Cervelat oder eine heisse Pizza verkaufen, eine ungebratene Bratwurst oder eine Tiefkühlpizza jedoch nicht. Das Angebot der Tankstellenshops ist bis jetzt eingeschränkt: In der Nacht von 1 bis 5 Uhr dürfen sie keine Konsumgüter des täglichen Bedarfs verkaufen. Das bedeutet, dass die Mitarbeitenden in diesen vier Stunden ein Teil des Sortiments abdecken müssen, wie zum Beispiel Zahnpasta, aber auch Speisen und Getränke, die nicht zum «Genuss an Ort und Stelle» vorgesehen sind.

Die Teilrevision soll nun den Tankstellenshops an Autobahnraststätten und «Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr» ermöglichen, dass sie das ganze Sortiment in der Nacht und von Montag bis Sonntag anbieten können.

Unnötiger Arbeitsschritt

Die Befürworter rühren kurz vor der Abstimmung die Werbetrommel. Am Montag hat das Wirtschafts- und Gewerbekomitee «Ja zum Arbeitsgesetz» eine Pressekonferenz einberufen. Es betont, dass sich die Abstimmung nicht um die Liberalisierung von Ladenöffnungszeiten dreht. Diese sind kantonal geregelt. Für CVP-Nationalrat Gerhard Pfister ist die Sortimentseinschränkung absurd. Er sagt: «Betroffen sind nur die Angestellten, die sowieso in der Nacht arbeiten müssen. Bei einem Ja entfällt ihnen jedoch ein zusätzlicher Arbeitsschritt. Sie müssen das Sortiment nicht mehr abdecken und nachher wieder aufdecken.»

Die Allianz «Freier Sonntag Schweiz», zu der die Gewerkschaften und soziale sowie kirchliche Organisationen zählen, hatte das Referendum ergriffen. Ihr Hauptargument ist, dass durch die Gesetzesänderung erstmals ein 24-Stunden-Betrieb im Detailhandel eingeführt wird. Das sei neu für die Schweiz und komme einem Dammbruch gleich. Wenn Tankstellenshops in der Nacht und am Sonntag geöffnet haben dürfen, verlangten auch andere Ladenbesitzer den 24-Stunden-Betrieb. Die Sonntagsallianz spricht von einer «Salamitaktik», die das Arbeitsgesetz aushöhle.

Nacht- und Sonntagsarbeit

Das Wirtschafts- und Gewerbekomitee beschwichtigt, dass lediglich 24 Tankstellenshops von der neuen Regelung betroffen wären. Susanna Gubelmann, Geschäftsführerin der BP-Tankstelle in Wiedikon, möchte vor allem glückliche Kunden und zufriedene Mitarbeitende. Sie ist Befürworterin der Revision, damit ihre Angestellten nicht extra Regale absperren müssen. Sie seien oft mit dem Unverständnis der Kunden konfrontiert, denn diese verstehen nicht, wieso zwar Personen an der Arbeit sind, aber einen Teil der Dienstleistungen nicht erbringen dürfen.

Wie die Gewerkschaft Unia auf Anfrage mitteilte, würden die Tankstellenshops immer mehr ganz normalen Einkaufsgeschäften gleichen. Der Geltungsbereich der Regelung lasse sich nicht kontrollieren, denn eine klare Definition von «Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr» gebe es nicht. Schlimmstenfalls müssten über 300 000 Verkäuferinnen und Verkäufer Nacht- und Sonntagsarbeit leisten. Die Unia möchte nicht, dass sich die Arbeitsbedingungen des Verkaufspersonals noch weiter verschlechtern. Zudem zeigten Umfragen, dass die Konsumenten keine längeren Ladenöffnungszeiten wünschen, und das Personal nicht gerne in der Nacht arbeite. «Es geht nicht um Bratwürste, sondern um Menschen.»

Weitere Liberalisierung gefordert

Der Bundesrat und das Parlament empfehlen, der Änderung des Arbeitsgesetzes zuzustimmen. Die Auswirkungen seien bescheiden und kaum zusätzliches Personal nötig. In den letzten Jahren hat das Volk jedoch zu Liberalisierungsvorlagen fast immer Nein gestimmt. Im Parlament sind allerdings noch weitere Anträge hängig, zum Beispiel die Motion Lombardi, die von den Kantonen längere Ladenöffnungszeiten am Morgen und Abend verlangt.