Veröffentlicht am 31.03.2014FOTO UND TEXT: Harald Tappeiner

Wirtschaftsprofessor Aymo Brunetti am SNB-Geldmarkt-Apéro.

Robuster Arbeitsmarkt trotz Nullzinsen

Die Nachwirkungen der Finanzkrise sind auf dem Parkett der Schweizer Notenbanker nach wie vor spürbar. Dies zeigte sich auch am Geldmarkt-Apéro der Schweizerischen Nationalbank.

Der Wissensdurst der Teilnehmer am Geldmarkt-Gespräch der Schweizerischen Nationalbank (SNB) im Zürcher Hotel Marriot war spürbar: Wann werden die sich um den Nullpunkt bewegenden Schweizer Leitzinsen wieder nach oben bewegen? Wann wird sich der Wechselkurs des Frankens normalisieren? Und was passiert mit der Schweizer Wirtschaft nach der angenommenen Einwanderungsinitiative? Dies waren die brennendsten Fragen am Anlass.

Bald Negativzinsen?

Die Zuhörenden – fast durchweg im Deux Pièces oder Anzug gekleidet – erhielten zumindest auf die zwei ersten Fragen schlüssige Antworten: Die Zinsen in der Schweiz werden nicht so schnell steigen. Weil der Schweizer Franken gegenüber dem Euro und dem Dollar weiterhin stark ist, sinken die Preise für die importierten Güter. Folglich kann die SNB die Zinsen nicht erhöhen.

Mehr noch: Der IWF hat der Schweiz vor kurzem empfohlen, Negativzinsen einzuführen, um die Attraktivität des Frankens zu schwächen. Das bedeutet aber auch, dass die Euro-Schuldenkrise länger andauert, als von der Nationalbank erwartet. Man werde die Untergrenze von 1,20 Franken/Euro weiterhin verteidigen, bekräftigte Fritz Zurbrügg, Direktoriumsmitglied der SNB.

Riesige Geldmenge

Dass die Euro-Krise noch nicht ausgestanden ist, davon ist auch Wirtschaftsprofessor Aymo Brunetti überzeugt. «Ich bin relativ relaxed, was die Wirtschaftsaussichten 2014 und 2015 betrifft.» Doch es gibt Herausforderungen. Denn die Geldmenge des Schweizer Frankens ist auf ein nie da gewesenes Niveau angestiegen, wie aus den Berichten der Nationalbank hervorgeht. Brunetti sagt dazu, die Kunst liege darin, Wege zu finden, um behutsam aus der interventionistischen Geldpolitik auszusteigen.

Langfristig müsse die Schweiz zudem die Produktivität steigern, um weiterhin die Sozialwerke finanzieren zu können, resümiert der Nationalökonom, der zwischen 2003 und 2010 die Direktion für Wirtschaftspolitik im Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) leitete.

Hohe Erwerbsquote

Rückblickend betont Aymo Brunetti, dass sich der Arbeitsmarkt während der Finanzkrise deutlich robuster als erwartet gezeigt habe. Das Instrument der Kurzarbeitsentschädigung habe sich bewährt und während der Finanzkrise eine sehr stabilisierende Wirkung entfaltet. Im Vergleich zu den umliegenden Ländern sei die Schweiz mit einer massvollen Konjunkturpolitik ohne zusätzliche Staatsverschuldung über die Runden gekommen.

Aktuell gehört der Schweizer Arbeitsmarkt zur Weltklasse. Denn kein anderes Land habe momentan eine solche hohe Erwerbsquote wie die Schweiz, die mit 80 Prozent einen Spitzenplatz belegt. Die Erfolgsfaktoren dafür sind laut Brunetti etwa in dem dualen, praxisorientierten Berufsbildungssystem, aber auch in dem moderaten Kündigungsschutz in der Schweiz zu suchen. Hinzu komme ein gut ausgebautes Sozialversicherungssystem, bei dem die Arbeitsanreize hoch sind, sagt der Nationalökönom.

«Attacke» auf Schweizer Wirtschaft

«Die Mindestlohninitiative stellt eine echte Attacke auf die Schweizer Wirtschaft dar», betont Aymo Brunetti. «Wir würden einen weltweit rekordhohen Mindestlohn von 24 Dollar pro Stunde in die Verfassung schreiben, während dieser im vergleichbaren Luxemburg momentan bei 15 Dollar liegt.» Selbst kaufkraftbereinigt wäre der vorgeschlagene Schweizer Mindestlohn noch immer rekordhoch, sagt Brunetti.

Die Initiative reduziere nicht nur die die Jobaussichten der Jüngeren, sondern auch derjenigen, die wieder die in den Arbeitsmarkt einsteigen möchten. Es sei ein völlig ungeeignetes Instrument zur Armutsbekämpfung. Mehr als 80 Prozent der Tiefverdiener lebten heute in reichen Haushalten, entweder als Zweitverdiener oder als junge Erwerbtätige.

Kontingentierung als «Ärgernis»

Während die SNB-Vertreter beim Stichwort «Masseneinwanderungsinitiative» auf den Bundesrat verweisen, der Ende Juni seine Vorschläge zur Umsetzung des Volksbegehrens vorstellen will, findet Aymo Brunetti dazu doch einige Worte: «Wenn die Initiative dazu führt, dass der bilaterale Weg nicht mehr beschritten werden kann, haben wir ein Problem. Nichtsdestotrotz müssen wir die Initiative umsetzen.»

Für Aymo Brunetti ist es aus wirtschaftspolitischer Sicht ärgerlich, dass man die Kontingente wieder einführen muss. «Man kann ohne weiteres ein ökonomisch effizientes Kontingentsystem kreieren, zum Beispiel mit Versteigerungen», ist Aymo Brunetti überzeugt. Doch die Vergangenheit habe gezeigt, dass über die Verteilung der Kontingente letztlich politisch entschieden werde.