Veröffentlicht am 11.09.2014TEXT: Naomi JonesFOTO: Simone Gloor

Teilzeitarbeit für mehr Familienengagement muss auch für Männer vermehrt möglich sein.

«Wir müssen das Patriarchat anzweifeln»

Frauen verdienen weniger, weil sie sogenannte Frauenberufe ergreifen. Dass diese schlechter bezahlt sind, ist ein Widerspruch zur Schweizer Verfassung. Forscherinnen und Forscher des Schweizer Nationalfonds fordern nun Lohntransparenz, um Lohngerechtigkeit herzustellen. 

Im Vergleich zu Europa sei die Schweiz ein Nachzügler, so Karin Gottschall, Professorin am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen. Gottschall ist in der Leitungsgruppe des nationalen Forschungsprogramms zur Gleichstellung von Männern und Frauen. Die Resultate der Studie wurden in dieser Woche vorgestellt. Vertreter und Vertreterinnen aus Wissenschaft, Politik und Praxis diskutierten darüber, wie sich die Erkenntnisse nun umsetzen liessen.

Rollenbilder prägen die Berufswahl

Die Studie zeigt auf, dass Mädchen und Jungen in der Schule zwar formal gleichgestellt sind, dass aber die klassischen Rollenbilder dennoch stark wirken. Schon bei der Berufswahl fragen sich nämlich Jungen, mit welchem Beruf sie später eine Familie ernähren können. Mädchen hingegen berücksichtigen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. So wählen Mädchen oft schlechter bezahlte Frauenberufe, während Jungen diese unter anderem vermeiden, um nicht als unmännlich zu gelten.

Wider die Verfassung 

Im Bereich Arbeitsmarkt steht die Lohngleichheit im Zentrum. Denn diese hat Einfluss auf die Rollenverteilung innerhalb der Familie. Das tiefere Einkommen wird heute durch Steuern und hohe Kinderbetreuungskosten oft beinahe aufgebraucht. Die Forscherinnen und Forscher empfehlen insbesondere der Politik, dass «den Wechselwirkungen von Einkommen, Steuern, Sozialtransfers und Betreuungskosten Rechnung getragen» werde. Denn erst dann lohne es sich für beide Elternteile ausser Haus zu arbeiten.

Von Wirtschaft und Politik fordern die Autoren Lohntransparenz, um die Gleichheit schrittweise durchzusetzen. Die Studie zeigt auf, dass Frauen oft schon am Anfang ihrer Laufbahn weniger Lohn für gleiche Arbeit erhalten. Gleichzeitig sprechen die Autoren klare Worte betreffend der geringen Löhne in klassischen Frauenberufen: «Dass ‚Frauenberufe’ noch immer schlechter bezahlt sind als ‚Männerberufe’, obwohl die formalen Erfordernisse nicht geringer sind, ist nicht verfassungskonform.» In der Diskussion verwendete Karin Gottschall noch stärkere Worte: «Die Geringschätzung von Frauen und die Geringschätzung von Frauenarbeit muss in der Gleichstellungsarbeit thematisiert werden.» Soziale und Erziehungsarbeit sei schlecht entlöhnt, weil Frauen geringgeschätzt würden.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch für Männer

Schliesslich ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Geschlechter ein wichtiges Anliegen der Gleichstellung. Die männlich geprägte Präsenzkultur in Betrieben sei eines der grössten Karrierehindernisse für «Personen, die familiäre Aufgaben übernehmen wollen oder müssen», wie die Studie nachweist. Die Podiumsteilnehmenden sind sich einig, dass die Wirtschaft und die Gesellschaft neue Erwerbsmodelle finden müssen.

Markus Theunert, Präsident von männer.ch und Vertreter der gleichstellungsorientierten Männer, erkennt in der Folge der Masseneinwanderungsinitiative die Bereitschaft der Wirtschaft, die «Humanressource Frau» auszunutzen. Es könne aber nicht das Ziel sein, dass sich Frauen in erster Linie der männlich geprägten «Norm der kollektiven Selbst- und Fremdausbeutung» anpassten, viel eher müsse Teilzeitarbeit und väterliches Engagement auch für Männer ein akzeptiertes Lebensmodell werden. Für Theunert ist Geschlechtergerechtigkeit weit mehr als Gleichstellung: «Es geht um soziale Gerechtigkeit und um grundlegend neue Geschlechterverhältnisse. Dazu müssen wir das aktuelle Machtprinzip fundamental in Frage stellen und das Patriarchat anzweifeln.»

Die Studie
2007 erteilte der Bundesrat dem Schweizerischen Nationalfonds den Auftrag, die Gleichstellungspolitik in der Schweiz zu erforschen. Welche Erfolge konnte die Gleichstellung verzeichnen, wo gab es Hindernisse und was waren deren Ursachen?
Nun liegt eine Zusammenfassung der Forschungsergebnisse von 21 Teams vor. Die Autorinnen und Autoren formulieren zudem 20 Empfehlungen an die Politik und Wirtschaft.
Der Synthesebericht der Studie findet sich auf www.nfp60.ch.