Veröffentlicht am 14.07.2014TEXT: Kathrin KochFOTO: Simone Gloor

Leergeräumter Geschäftsraum an der Badenerstrasse in Zürich.

Gezählte Tage

Wer durch die Strassen von Zürich geht, entdeckt immer wieder leerstehende Ladenlokale und Gewerberäume. Die Probleme, mit denen Ladenbesitzer umgehen müssen, sind vielschichtig und bedrohen nicht selten deren Existenz.

Ein Schild steht da, im Schaufenster. Klein und unscheinbar. Wie das Schild bleibt auch die Papeterie Ryffel manchen Passanten verborgen, die vom Limmatplatz her kommend um die Ecke biegen und in die Langstrasse eintauchen. Der erste Laden rechts der Strasse erregt rein äusserlich gesehen wenig Aufmerksamkeit: Eine kleine und zurückhaltend gestaltete Auslage in den Schaufenstern – das eine oder andere Filmplakat in den Schaukästen. Im Innern des Ladens befindet sich ein altes Holzinterieur mit einer Theke, hinter der das alte Besitzerehepaar in vielen Schubladen ihr Papeteriesortiment lagert. «Räumungsverkauf bis 20.6.» steht auf dem kleinen, unscheinbaren Schild.

Aktuelle Zahlen fehlen

Seit letztem Monat existiert dieses Geschäft nicht mehr. Die Schriftzüge auf dem Vordach, «Ryffel und Papeterie», wurden bereits abmontiert, am Schaufenster klebt der Name des neuen Mieters, «Atelier Long».

Leere Ladenlokale sind keine Seltenheit in der Stadt Zürich. «Der Wandel gehört zu einer Stadt», sagt Nat Bächtold, Leiter Kommunikation des Präsidialdepartementes der Stadt Zürich, «Geschäfte schliessen und neue entstehen.» Die Durchmischung der Läden sei weiterhin ansprechend. «Eine aktuelle Zahlenbasis fehlt jedoch», gibt er zu.

Die letzte Auswertung zur Entwicklung des Gewerbes in der Stadt Zürich wurde im Januar 2013 von der Abteilung Stadtentwicklung veröffentlicht und zeigt die Jahre 1998 bis 2008 auf. In 10 Jahren hat sich laut Auswertung die Zahl der Gewerbebetriebe nur leicht verringert: Waren im Jahr 1998 noch 42 Prozent aller Arbeitsstätten in der Stadt Zürich Gewerbebetriebe, verringerte sich dieser Anteil im Jahre 2008 auf 38 Prozent. Eine weiteres Fazit aus dem Bericht ist, dass im Verlauf von zehn Jahren die Anzahl des publikumsorientierten Gewerbes (Detailhandel und Dienstleistungen) in der Innenstadt und in den Quartierzentren abgenommen hat – quasi eine Ausdünnung stattfand. Gleichzeitig sind jedoch neue Betriebe entstanden, meist in unmittelbarer Umgebung.

Verdrängungskampf in der Bahnhofstrasse

Die Situation des Gewerbes ist trotzdem angespannt. Die Schliessung von Läden zieht sich quer durch alle Quartiere der Stadt und reicht vom Teehaus in der Altstadt bis zum kleinen Quartierlebensmittelgeschäft in Höngg. Nicht nur kleine Geschäfte sind betroffen. Auch in der Bahnhofstrasse, der lukrativen Einkaufsstrasse in Zürich, mussten alteingesessene Unternehmen ihren Platz räumen. Internationale und nationale Ladenketten, oft im Luxussegment angegliedert, übernehmen die Standorte und sichern sich die Kaufkraft von Touristen und Einheimischen. Ein bunter und preiswerter Mix an Einkaufsmöglichkeiten ist schwer zu finden.

Die Stadtregierung beobachtet die zunehmende Filialisierung der Bahnhofstrasse. «Leider besitzen wir aus historischen Gründen an der Bahnhofstrasse keine Liegenschaften – es ist für uns also nicht möglich, regulierend wirken zu können», sagt Nat Bächtold. Aktuell kämpft das Traditionswarenhaus Manor um seinen Standort, nachdem bekannt wurde, dass die Vermieterin der Liegenschaft, die Versicherung Swiss Life, mit jährlich 19 Millionen Franken einen neuen Mietpreis verlangt, der dreimal so hoch ist wie die bisherige Miete. Manor kämpft nun vor dem Zürcher Mietgericht und wird von einer unabhängigen Interessengemeinschaft (IG) unterstützt.

In anderen Schweizer Städten zeigen sich ähnliche Tendenzen. «In Luzern wird in der Altstadt um jeden Laden gekämpft», sagte Franz Stalder, Präsident der City Vereinigung Luzern, unlängst gegenüber dem Blick. «Die grossen Uhrenfirmen haben es auch bei uns auf die Läden der Familienbetriebe abgesehen.» Die Haupteinkaufsmeilen in den Städten, auch im Ausland, etwa in Stuttgart oder Frankfurt, gleichen sich im Erscheinungsbild immer mehr: Da steht ein Hennes&Mauritz (H&M) neben der Starbucks-Filiale, ein Shop von Louis Vuitton neben einem Geschäft von Bulgari.

Für die Anliegen sensibilisieren

Nicole Barandun ist Präsidentin des Gewerbeverbandes der Stadt Zürich und engagiert sich in der IG Manor für eine gute Lösung des Konflikts. Sie ist überzeugt, dass das Warenhaus auch für die umliegenden Strassen wie Rennweg oder Löwenstrasse – Orte, an denen weiterhin klassisches Gewerbe zu finden ist – eine wichtige Rolle spielt. «Sollten die Kundinnen und Kunden des Manor künftig ausbleiben, hätte dies sicher negative Auswirkungen auf die kleinen Läden in der Umgebung», begründet Nicole Barandun ihre Motivation, bei der IG mitzuwirken. Der Gewerbeverband der Stadt Zürich vertritt als Dachorganisation rund 3000 Klein- und Mittelunternehmen (KMU) aus Gewerbe, Handel und Dienstleistung – auch die lokalen Gewerbevereine der einzelnen Quartiere sind teilweise als Mitglieder angeschlossen.

Es sei wichtig, die Anliegen des Gewerbes möglichst früh aufs politische Parkett zu bringen, sagt Nicole Barandun. «Wir versuchen ständig für unsere Anliegen zu sensibilisieren. Dazu führen wir regelmässig Gespräche mit der Stadtregierung und mit den einzelnen Departementsvorstehenden.» Politische Mühlen würden jedoch langsam mahlen.

Die Präsidentin des Gewerbeverbandes appelliert aber auch an das Bewusstsein und Einkaufsverhalten der Bevölkerung: «Es reicht nicht, sich zu beklagen, dass die chemische Reinigung um die Ecke aufgeben musste – während man all die Jahre die Hemden zum Reinigen ins Glattzentrum brachte.»

Sorgen des lokalen Gewerbes

Die Gründe für Geschäftsauflösungen sind vielseitig: Schwierige Rahmenbedingungen am Standort, fehlender Umsatz, zu hohe Mietpreise, keine Mietverlängerungen, Pensionierung der Inhaber und fehlende Nachfolge. «Eine hohe Miete ist einer der Gründe, weshalb in den letzten Jahren, oder Jahrzehnten, ganz viele Gewerbetreibende aufgegeben haben oder in die Agglomeration abgewandert sind», beschreibt die Präsidentin des Gewerbeverbandes die Lage. Ein weiteres Problem sind die Parkplätze. Zulieferer, Handwerker und Kunden sind darauf angewiesen, dass sie die Geschäfte in der Innenstadt gut erreichen können. «Werden Parkplätze entzogen, kann dies für das lokale Gewerbe zusammen mit anderen Faktoren den Genickbruch bedeuten», sagt Nicole Barandun. Auch der Lärmschutz sei ein Problem: Vor allem das produzierende Gewerbe, wie eine Bäckerei oder eine Schreinerei, bekunde zunehmend Mühe, ihre Standorte in den Quartieren halten zu können.

An der Ecke Badener- und Kanzleistrasse, beim Stauffacher in Zürich, sticht ein leer geräumter Gewerberaum ins Auge. «Danke Züri!» steht in weissen Buchstaben auf der Fensterscheibe geschrieben. Direkt angrenzend an das mit Bauprofilen ausgesteckte Gebäude befindet sich bereits seit 1963 das Nähmaschinen-Fachgeschäft Frédéric Turke. Auch hier klebt ein Schild am Schaufenster. In roter Schrift geschrieben und mit einem Ausrufezeichen versehen: «Wir bleiben!»