Veröffentlicht am 26.03.2015FOTO UND TEXT: Ines Schöne
Romualdo Ramos

Der Psychologe Romualdo Ramos in seinem Büro an der Universität Zürich.

Psychologie

Freiwilligenarbeit macht gesund

Sich in der Freizeit sozial zu engagieren ist gesundheitsfördernd. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie «Busy yet socially engaged» von Romualdo Ramos vom Institut für Epidemologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich. Für die Studie wurden 746 berufstätige Personen zum Thema Freiwilligenarbeit befragt. 

Romualdo Ramos, Freiwilligenarbeit macht gesund. Warum?
Freiwilligenarbeit kann gesund machen oder Gesundheit erhalten. Ich würde es aber nicht als Therapie verkaufen. Was in unserer Studie besonders war, ist, dass wir uns erwerbstätige Menschen angeschaut haben, die Freiwilligenarbeit nebenbei leisten. Obwohl soziales Engagement mit einem zusätzlichen zeitlichen Aufwand verbunden ist, erleben diese Menschen eine bessere Work-Life-Balance. Das wiederum hat sich in weniger Stress und erhöhtem Wohlbefinden widergespiegelt.

Welche Art von Gesundheit haben Sie untersucht, mentale oder körperliche?
Wir sind Psychologen und wir haben uns deshalb vor allem mit psychischer Gesundheit auseinandergesetzt. Uns interessieren Stress, Burnout und das sogenannte soziale Wohlbefinden.

Was meinen Sie damit?
Integration, Kontakte zu anderen Menschen und funktionales Leben im eigenen Umfeld. Gerade beim Volunteering betrachten wir emotionales, soziales und psychologisches Wohlbefinden. Diese drei Faktoren bilden eine Einheit. Und sie hängen mit den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen nach Sinn und Autonomie zusammen. Menschen, die Freiwilligenarbeit leisten, sind meistens selbstbestimmt. Und sie tun etwas, das für sie Sinn macht. Autonomie und Sinngenerierung sind bei uns Schlüsselwörter.

Sie sprechen von einer besseren Work-Life-Balance. Was ist das Gegenteil?
Das wäre der Konflikt zwischen Arbeit und Freizeit. Wir sprechen dann von Work-Life-Conflict. Er zeigt sich oft in dem Gefühl, keine Zeit zu haben. Menschen investieren Zeit in Freiwilligenarbeit. Man könnte meinen, dass sie dadurch weniger Zeit haben, aber das Gegenteil ist der Fall. Sie berichten über eine bessere Zeiteinteilung in ihrem Leben. Das ist die Überraschung unserer Studie.

Das Gefühl, keine Zeit zu haben, macht unglücklich?
Es sorgt auf jeden Fall für Stress. Und Nichtstun ist nicht die Lösung. In diesem Zusammenhang haben experimentelle Studien in den USA gezeigt, dass Menschen, die etwas für andere tun, statt nichts oder etwas für sich selbst, finden, dass sie mehr Zeit zur Verfügung haben und ihr Zeitmanagement besser ist.

Ist diese Ausgeglichenheit der Grund, warum freiwillig Arbeitende gesünder sind?
Unter anderem. Wir betrachten Freiwilligenarbeit, Work-Life-Balance und Gesundheit als ein Dreieck. Die drei Punkte stehen in Beziehung zueinander. Das ist in der Forschung relativ neu. Was oft gezeigt wurde, ist, wie Rentner von dem sozialen Anschluss profitieren, wenn sie sich freiwillig engagieren. Erwerbstätige sind aber diejenigen Menschen, die den grössten Teil der Freiwilligenarbeit leisten.

Sollten mehr Menschen sich eine Freiwilligenarbeit suchen?
Freiwilligenarbeit ist für die Gesellschaft und für das Individuum wichtig. Hier wird übrigens viel von Altruismus gesprochen, wovon ich weniger halte. Die Freiwilligenarbeit darf und sollte einem Zweck dienen. Selbstbestimmtheit ist wichtig. «Die Arbeit macht für mich Sinn und ich bin selbstbestimmt», so wäre das ideale Denkmuster. Wenn ich aber denke, «Volunteering sieht gut aus in meinem Lebenslauf», oder wenn ich dem Gruppenzwang zur Freiwilligenarbeit unterliege, dann ist sie weniger befriedigend und weniger gesundheitsfördernd. Selbstbestimmtheit ist entscheidend.

Ist Selbstbestimmtheit sozusagen ein Mittel gegen Burnout?
Wir sind ziemlich überzeugt, dass ein Burnout nicht nur mit der Arbeitsmenge zusammenhängt, sondern sehr stark mit der empfundenen Sinnlosigkeit. Wer das Gefühl hat, etwas Sinnloses zu tun, findet die Arbeit umso belastender. 

Das heisst, ich soll egoistisch danach streben, etwas Sinnvolles zu tun, dann kann ich ein Burnout verhindern?
Ich denke nicht, dass dies rein egoistisch ist. Denn das, was ich als sinnvoll erachte, wird  hoffentlich als etwas Positives in die Gesellschaft zurückstrahlen. Was stimmt, ist, dass sinnvolle Arbeit glücklich macht. Dann ist man auch engagierter und die Chancen eines Burnouts sind viel kleiner. 

Wie sehen Sie die Schnittstelle zwischen Erwerbsarbeit und Freiwilligenarbeit? 
Sinnvolle, selbstbestimmte Erwerbsarbeit ist natürlich gut und erstrebenswert. Wir möchten damit aber in erster Linie unsere Existenz sichern. Grundsätzlich anders ist es bei der Freiwilligenarbeit: Da sind wir freier und haben viel mehr Spielraum. 

Was ist Corporate Volunteering?
Corporate Volunteering ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert: Schweizer Grossunternehmen, aber auch KMU stellen ihre Mitarbeitenden einen Tag lang frei, damit sie sich sozial engagieren können. Hier haben wir eine interessante Schnittstelle zwischen Erwerbstätigkeit und Freiwilligenarbeit. Allerdings kann das Corporate Volunteering zu einem Selektionsprozess führen. 

Was meinen Sie damit?
Das ist ein grundsätzliches Problem, das im Freiwilligensektor beobachtbar ist und welches wir mit unserer Studie nicht ausreichend addressieren können. Wenn wir die Gesamtheit der Forschungsergebnisse betrachten, stellen wir fest: Freiwilligenarbeit kann Gesundheit fördern, aber Gesundheit kann eine Voraussetzung für Freiwilligenarbeit sein. Es zeigt sich, dass Menschen, die sowieso gesünder und sozial integrierter sind, eher dazu neigen, Freiwilligenarbeit zu leisten. Das meinen wir mit Selektionsprozess, und dies ist im Zusammenhang mit Corporate Volunteering umso ersichtlicher. 

Welche Probleme bei der Arbeit können wir durch Freiwilligenarbeit lösen?
Probleme bei der Erwerbsarbeit kann die Freiwilligenarbeit nicht lösen. Aber sie kann grundsätzlich eine kompensatorische Rolle spielen. Wenn ich auf der Arbeit einen Mangel an Sinn verspüre, kann ich ihn statt dessen bei meinem sozialen Engagement finden. Freiwilligenarbeit kann also Defizite an Arbeitsressourcen in der Erwerbsarbeit kompensieren. Sinnhaftigkeit, Autonomie und soziale Unterstützung sind Ressourcen, welche die Widerstandsfähigkeit gegen Stress erhöhen. In unseren Studien haben wir herausgefunden, dass Menschen, die eine ungünstiges Ressourcen-Belastungs-Verhältnis in der Erwerbsarbeit haben, umso mehr von Freiwilligenarbeit profitieren. 

Wie zeigt sich das bei der Arbeit konkret? 
Das können wir aus eigener Forschung nicht erschliessen, aber frühere Studien zeigen, dass Menschen offener für Ideen sind, besser und aktiv bei der Arbeit zuhören und dass sie sich erholter fühlen, wenn Sie am Vortag Freiwilligenarbeit geleistet haben. Dieses Erholungsgefühl ist enorm wichtig. Es entsteht, wenn wir uns vorübergehend von der Arbeit psychisch abtrennen können. 

Wie werden Sie weiter forschen?
Es könnte sein, dass Freiwilligenarbeit die Gesundheit fördert. Aber, wie vorher erwähnt, gesunde Menschen tendieren eher dazu, Freiwilligenarbeit zu leisten. Es wäre wichtig, diesen Selektionsprozess zu durchbrechen, damit andere Menschen sich auch befähigt und angesprochen fühlen. Dabei sind sogenannte Längsschnittstudien über mehrere Messzeitpunkte sehr wichtig. Auch interessant zu untersuchen wäre die Langfristigkeit der Auswirkungen von Freiwilligenarbeit. Ich glaube, dass das regelmässige Engagement zu einem dauerhaften, allgemeinen Wohlbefinden beitragen kann. Aus einer kurzfristigen Perspektive wären physiologische Forschungen äusserst interessant, wie zum Beispiel die Messung von Stresshormonen nach der Freiwilligenarbeit. 

Wem empfehlen Sie Freiwilligenarbeit?
Es wäre erstrebenswert, dass Arbeitslose und Migranten mehr in den Fokus rücken. Eine neue Studie zeigt, dass Stellensuchende, die Freiwilligenarbeit leisten, besser auf ihre körperliche Gesundheit achten. Aber auch ihr soziales Wohlbefinden würde dadurch profitieren. 

Und Sie persönlich? Leisten Sie Freiwilligenarbeit?
Es ist momentan noch nicht ganz spruchreif, aber ich habe ein Projekt in der Pipeline für mein eigenes Volunteering, worauf ich mich sehr freue.