Veröffentlicht am 15.01.2015TEXT: Carmen PüntenerFOTO: Simone Gloor

Des eigenen Glückes Schmied

Die Faust im Sack machen oder anderen die Schuld am Jobfrust geben nützt nichts. Wer bei der Arbeit zufrieden sein möchte, nimmt die Zügel am besten selber in die Hand – mittels sogenanntem «Job Crafting».

In der Schweiz sind drei Viertel der Beschäftigten mit ihrem Job ziemlich, voll oder ganz zufrieden. Dies zeigen die aktuellen Zahlen des HR-Barometer der ETH und der Universität Zürich. In einer Studie, die die Onlineplattform Xing in der Deutschschweiz durchführte, gaben sogar 90 Prozent der Arbeitnehmenden an, mit ihrer Arbeit zufrieden zu sein.

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Damit gehören die Schweizer im europäischen Vergleich zu den glücklichsten Arbeitnehmenden. Laut European Working Conditions Survey (EWCS) 2010 ist die Zufriedenheit nur in einigen skandinavischen Staaten und in Grossbritannien ähnlich hoch.

Ein Indiz, warum den Schweizern ihre Arbeitsstellen so gefallen, findet sich ebenfalls im HR-Barometer 2014: Sie sind top im sogenannten «Job Crafting», der individuellen Arbeitsgestaltung.

«‹Job Crafting› bedeutet, dass Menschen die Möglichkeit haben – oder sich diese Möglichkeit nehmen – ihre Arbeit selber zu gestalten. Dass kann heissen, dass sie einzelne Aufgaben etwas anders ausführen als vorgegeben, oder dass sie sich Aufgaben selber neu definieren», sagt Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie der ETH Zürich. Die eigenen Inputs bei der Arbeit steigern das positive Arbeitserleben und damit die generelle Zufriedenheit im Job.

Gemäss Gudela Grote betreiben wir alle auf eine gewisse Art «Job Crafting»: «Wenn wir uns genau überlegen, wie wir unseren Alltag gestalten, wo wir Aufträge modifizieren oder diese mit Ideen ergänzen, merken wir, dass wir sehr oft eigene Anteile in die Arbeit hineinbringen.»

Das grössere Ganze sehen

Im HR-Barometer 2014 gaben vier von fünf Personen an, dass sie «Job Crafting» betreiben, indem sie sich bei der Arbeit zusätzliche Ressourcen suchen. Knapp zwei Drittel der Schweizer Beschäftigten gehen noch einen Schritt weiter und suchen sich komplett neue Herausforderungen. So meldet sich beispielsweise jemand, der gerne Feste organisiert freiwillig, den nächsten Firmen-Event zu planen. Eine andere Person kennt sich sehr gut mit einem Computerprogramm aus und bietet den Kollegen Hilfe an.

Nicht nur im sozialen Bereich wird «Job Crafting» betrieben. Ein «Newsalert» im Internetbrowser mit wichtigen Meldungen und Berichten aus der eigenen Branche kann die Arbeit bereits bedeutend spannender machen. Oder noch einfacher: Wer gerne Räume gestaltet, fragt vielleicht beim Chef nach, ob er das Büro neu einrichten darf. Auch der Fabrikarbeiter, der den Anstoss zu einem neuen Aufbewahrungssystem gibt, erlebt seine Arbeit als positiver als sein Kollege, der Dienst nach Vorschrift macht.

Ein eindrückliches Beispiel dafür, dass «Job Crafting» auch für Personen mit tiefer Qualifikation relevant ist, findet sich in den USA. Forscher der Universität Michigan und der Yale School of Management untersuchten 2001 die Zufriedenheit von Putzpersonal in einem Krankenhaus. «Einige der Befragten gaben an, sich bei der Arbeit auf das Saubermachen der Räume zu beschränken. Andere jedoch suchten aktiv den Kontakt zu Patienten, oder halfen Besuchern, die in den Gängen herumirrten, den Weg zu finden. Sie sahen sich also nicht einfach als Putzpersonal, sondern als Teil der Mission des Krankenhauses», fasst Gudela Grote zusammen.

Stress ist kein Hindernis

Die Studienergebnisse scheinen auf den ersten Blick in Kontrast zu anderen Erhebungen zu stehen, die von einem grossen Anteil der Beschäftigten berichten, die unter Stress und psychischen Belastungen leiden. Auch im HR-Barometer gaben 27 Prozent der Befragten an, während der letzten drei Monate oft oder fast immer gestresst gewesen zu sein. Viele dieser Personen betreiben «Job Crafting» im umgekehrten Sinne: sie versuchen, ihre emotionalen und körperlichen Belastungen zu reduzieren, indem sie zum Beispiel das Tempo drosseln oder Arbeiten abgeben. «Damit machen sie ihren Job jedoch nicht interessanter, sondern geraten unter Umständen noch tiefer in die Negativspirale», sagt Gudela Grote.

Dabei könnten gerade diejenigen Personen, die mit ihrer Arbeit unzufrieden sind oder unter starken psychischen Belastungen leiden, vom «Job Crafting» profitieren: «Wichtig ist, die Arbeit zu reflektieren und sich zu überlegen, was die Arbeitstätigkeit auf der psychischen Ebene mit einem macht. Wer dies tut, kann aktiv nach Möglichkeiten suchen, mehr Kontrolle zu gewinnen und die eigene Arbeit spannender und sinnvoller zu gestalten, ohne unter übermässigen Belastungen zu leiden.»

Rahmenbedingungen schaffen

Natürlich ist auch das Entgegenkommen von Seiten des Arbeitgebers eine Voraussetzung für erfolgreiches «Job Crafting»: «Menschen können lediglich versuchen, sich Freiräume zu nehmen. Der Arbeitgeber kann sie ihnen gezielt geben, oder auch wegnehmen. Wenn zum Beispiel das Briefe-Austragen eines Pöstlers plötzlich nach einem Punktesystem geht – wenn Sekunden gezählt werden, wie lange es dauern darf, einen Brief in den Briefkasten zu stecken – dann werden die Gestaltungsmöglichkeiten extrem eingeschränkt.»

Gemäss Gudela Grote könnten Arbeitgeber mehr solche Freiräume für ihre Mitarbeitenden schaffen, indem sie etwa regelmässig Feedbackgespräche führen, bewusste zeitliche Pufferzonen in den Arbeitsalltag einbauen, oder den Beschäftigten die Mitsprache bei Projekten ermöglichen. Schlussendlich ist die Arbeitszufriedenheit dort am höchsten, wo das Wechselspiel zwischen den betrieblichen Rahmenbedingungen und der Eigeninitiative der Beschäftigten optimal verläuft.

«Job Crafting»
Den Begriff prägten die beiden amerikanischen Wissenschaftlerinnen Amy Wrzesniewsky und Jane Dutton anfangs des neuen Jahrtausends. Sie bezeichnen damit alle Massnahmen, die Beschäftigte selber ergreifen, um ihre persönliche Arbeitssituation zu verbessern. 

Publikationen
HR-Barometer (2014): Gudela Grote (ETH Zürich), Bruno Staffelbach (Universität Zürich)
Crafting a Job (2001): Amy Wrzesniewski (Yale School of Managment), Jane Dutton (University of Michigan)
Job crafting and meaningful work (2013): Justin Berg (University of Pennsylvania), Jane Dutton (University of Michigan), Amy Wrzesniewski (Yale School of Managment)

 

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