Veröffentlicht am 20.01.2008TEXT: Der Arbeitsmarkt

Blick aufs RAV – drei Meinunungen

Alexandra von Ascheraden, Redaktorin «der arbeitsmarkt», Salvi Pittà und Robin Ziltener, Mitarbeiter «der arbeitsmarkt» zum Thema.

Schöne neue deutsche Arbeitsagentur

Zur Recherche für einen Artikel besuchte ich das Arbeitsamt in München. Die Agentur für Arbeit, wie sie jetzt heisst. Das schlichte Amt mutierte zur Agentur, der Namenswechsel sollte frischen Wind symbolisieren. Zudem gibt es dort keine Arbeitslosen mehr. «Kunden» drängen sich auf den langen Fluren. Und warten.
Auch ein neues Erscheinungsbild hat man sich für teures Geld gegönnt. Zeigte das Logo früher ein weisses A auf rotem Grund, sieht es heute so aus: dasselbe A in Rot auf weissem Grund.
München hat eine Arbeitslosenquote von 7 Prozent, weit unter dem deutschen Durchschnitt. Dennoch: Ein Vermittler ist in der bayrischen Landeshauptstadt für 700 bis 800 Arbeitslose zuständig. Die Agentur kann keine Arbeitsplätze schaffen, nur die Arbeitslosigkeit verwalten. Es bleibt kaum Zeit für den Kontakt mit den Arbeitgebern.
Statt Menschen zu beraten und sich mit ihrer Situation auseinander zu setzen, um ihnen individuell helfen zu können, wird nur noch durchgewinkt. Termine im Halbstundentakt, dazu 
unzählige Telefonanrufe, Versicherte, die ohne Termin vorbeikommen oder von der überlasteten Empfangsthekenbesatzung zu den Vermittlern weitergeschickt werden, obwohl diese gar nicht zuständig wären. Nebenbei noch jedes Gespräch sauber dokumentieren und Akten führen. 
Eine Vermittlerin, der ich einen halben Tag beim «Durchwinken» zusehen durfte, meinte: «Früher einmal waren wir die Halbgötter, die eine Kartei mit Stellen vor sich stehen hatten. Heute kann, wer Internet hat, dieselben Stellen finden, die ich in meinem System habe.»
Sie übt ihre Kontrollfunktion aus. Für Beratung bleibt keine Zeit. Gerade ein paar Bewerbungs- und EDV-Kurse kann sie ihren «Kunden» anbieten. Auch diese sind kontingentiert. Unterlagen wollte sie gar nicht erst einsehen. Es reichte, wenn die Arbeitslosen eine Mappe mitbrachten, von der sie behaupteten, es befänden sich Bewerbungsbemühungen darin.
Wie sieht es dagegen in der Schweiz aus? 3,8 Prozent Arbeitslosigkeit und pro Berater ein Sechstel der Arbeitslosen, die ein Münchner Arbeitsvermittler verwalten muss. Das sind ja fast schon idyllische Verhältnisse. (Alexandra von Ascheraden)
 

Vermittlung statt Kontrolle?

Arbeitsamt Luzern, Mitte der neunziger Jahre: ein neutraler Raum mit einem knappen Dutzend weisser Türen, die mit Buchstaben versehen sind. Nach Nachnamen sortiert, stehen hier dreimal wöchentlich Arbeitslose vor jeder Tür Schlange, um einen Stempel auf die Kontrollkarte machen zu lassen. Ende Monat liefern wir hier zusätzlich den Nachweis unserer persönlichen Bemühungen. Noch gibt es keine persönliche Beratung, kaum Kurse und keine Programme zur vorübergehenden Beschäftigung. Die Arbeitslosenkasse schreibt tiefrote Zahlen. Die Neuanmeldungen überfordern das System. Die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) werden aus dem Boden gestampft.
Hat sich der Systemwechsel gelohnt? RAV Luzern, Mitte 2004: Einmal im Monat treffe ich meinen RAV-Berater und überreiche ihm den Nachweis meiner persönlichen Bemühungen. Die Stempelkarte ist abgeschafft, dafür erhalte ich vom Arbeitsamt ein Formular, das ich ausgefüllt und mit Belegen versehen meiner Arbeitslosenkasse abzugeben habe. Nun verhandle ich also mit drei Parteien. Wie das vor sich geht, erklärt mir eine Erwachsenenbildnerin in einem Kurs. Mein Berater händigt mir eine 12-seitige Liste von Internetadressen aus, die meiner Arbeitssuche dienen soll. Eine neu eingerichtete offizielle Website des seco soll mir helfen, ausgeschriebene Stellen besser zu finden.
Heute kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Trotz seines viel versprechenden Namens hat mir das RAV nie eine Arbeitsstelle vermittelt. Weder die Kolleginnen und Kollegen der «arbeitsmarkt»-Redaktion noch meine Bekannten können mir ein gegenteiliges Beispiel nennen. Dasselbe gilt für die Website des seco, die viel zu wenig Stellen mit viel zu wenig Angaben viel zu unübersichtlich aufbereitet. Das Hauptziel wurde also verfehlt. Kein RAV ist zum Dienstleistungszentrum geworden, denn es geht immer noch nur um Kontrolle. Solange sich dies nicht ändert, bleibt das Beste an den RAV, dass viele fähige Personalberater dort einen neuen Job gefunden haben. Auch sie könnten davon profitieren, wenn ihre Ressourcen richtig genutzt würden. (Salvi Pittà)
 

Aussterbende Gattung

RAV-Beratende haben es schwer. Sie müssen einfühlsam, kompetent, verständnisvoll und gut organisiert sein. Letzteres trifft gewiss nicht auf die Beraterin zu, die mich betreute, als ich 20 Jahre zählte. A.P. war leicht gestresst, nuschelte, aber sie hatte Herz. «Ich finde es toll, dass Sie trotz Arbeitslosigkeit immer gut gelaunt sind, Herr Ziltener», sagte sie zu mir und gewann damit meine Sympathien. Mir machten die langen Wartezeiten und das Stempeln nichts aus. Ich war jung und neugierig genug, jede Art von Arbeit anzunehmen. 
Heute stellt sich die Situation anders dar: 
Ich mache mir Sorgen, keinen Job mehr zu finden, und bin froh, auf dem RAV mit niemandem reden zu müssen. Der Betrieb läuft reibungslos, und die Wartezeiten sind moderat. Eines aber ist gleich geblieben: das Glück, eine Beraterin mit Herz zu haben. «Hat sich diesen Monat etwas ergeben, Herr Ziltener?», fragt I.S. mitfühlend, und ich gehe getröstet nach Hause.
Umso trauriger, dass diese netten Damen (und Herren) vom Aussterben bedroht sind. Ein grausames Rating-System (Welche RAV arbeiten am erfolgreichsten?) ist zuständig dafür. Es belegt die Beratenden mit einem Kontrolldruck, der das Misstrauen und den Konkurrenzdruck untereinander fördert. Wer will schon dafür verantwortlich sein, einen teuren Kurs verschrieben zu haben, der nichts bringt? Die Folgen sind Burn-out und das Ausscheiden der sensiblen und menschlichen RAV-Mitarbeitenden zugunsten derjenigen, die die Ellenbogen gebrauchen und den Kasernenton beherrschen.
Diese düstere Wahrheit hat sich mir beim Versuch offenbart, für die vorliegende Ausgabe einen RAV-Beratenden zu porträtieren. Wenn die interessante RAV-Beraterin mit dem spannenden Hobby sich aus Angst vor Repressionen nicht mehr getraut, ihre Meinung zu sagen, so ist ein Wurm im System. Wenn der RAV-Beratende, der nur allzu gerne das grosse Wort führt, bei kritischen Fragen zum Hasen wird, so ist etwas faul im Lande. Schade, A.P. und I.S., ihr werdet wohl auf der Strecke bleiben. (Robin Ziltener)