Veröffentlicht am 05.06.2014TEXT: Kathrin KochFOTO: Simone Gloor

Beziehungskompetenz ist lernbar

Trotz pädagogischer Ausbildung: Nicht jede Lehrerin, jeder Lehrer ist ein Kommunikationstalent. Beziehungen aufzubauen, ist aber das A und O jeder Unterrichtstätigkeit. Eine Weiterbildung will die Beziehungskompetenz von Lehrpersonen verbessern helfen. Interview mit Ruth Meyer, Mitinitiantin dieser Ausbildung.

Warum sind funktionierende Beziehungen für Lehrpersonen denn so wichtig?
Weil Beziehungen das A und O sind. Der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick sagte bereits: «Achtzig Prozent der Unterrichtstätigkeit ist reine Beziehungsarbeit.» Durch gute Beziehungen zu Schülerinnen und Schülern, zu Eltern, aber auch zu anderen Lehrpersonen kann die Wirksamkeit des Unterrichts enorm verbessert werden.

Lässt sich bei der Beziehungsarbeit eine Hauptschwierigkeit herauskristallisieren ? 
Ich glaube, eine Hauptschwierigkeit in den Schulen ist die Konfliktfähigkeit aller Beteiligten. Innerhalb der Klasse bedeutet dies: Wie nehme ich als Lehrperson Konflikte wahr? Wie gehe ich mit ihnen um? Mir scheint, dass Lehrpersonen oft unter einem wahnsinnigen Druck stehen – und dieser Druck wird letztlich auch in den Klassen spürbar. Mit einer guten Beziehungsfähigkeit kann die Klasse ganz anders geführt werden. In der Beziehung zu Eltern zeigt sich dies in einem sinnvollen Dialog: Lehrperson und Eltern übernehmen zum Beispiel beide die Verantwortung für das Kind. Man betrachtet es als gemeinsame Aufgabe – und schiebt nicht Verantwortungen hin und her.

Ruth MeyerEine Lehrperson mit hohen Beziehungskompetenzen: Wie zeigt sich das?
Hohe Kompetenzen haben viel mit einer gelingenden Kommunikation zu tun. Wertschätzung, Interesse und Empathie für das Gegenüber ist vorhanden. Die andere Person fühlt sich wahr- und ernstgenommen. Die Lehrperson kann sich klar ausdrücken. Sie merkt, wo ihre eigenen Grenzen liegen. Und: Sie kann diese Grenzen eben auch setzen, bevor sie übertreten werden. Die Lehrperson übernimmt so eine aktive Rolle.

Kann Beziehungskompetenz überhaupt gelernt oder trainiert werden?
Ja unbedingt! Diese Fähigkeiten sind nicht einfach gegeben – und fertig ist’s. Meiner Meinung nach hat es viel mit der eigenen inneren Haltung zu tun. Wir können unsere Kompetenzen erweitern und üben: mit Instrumenten und Werkzeugen, die für eine beziehungsfördernde Kommunikation dienlich sind. Das Beste ist, immer wieder Theorie und Praxis zu verbinden.

Wen möchten Sie mit Ihrem Weiterbildungsangebot ansprechen?
Mit dem Basistraining sprechen wir Lehrpersonen und Menschen an, die in einem pädagogischen Umfeld arbeiten. Personen, die sich ihrer Beziehungskompetenz vielleicht bereits bewusst sind, sie aber stärken möchten. Das Umfeld Schule befindet sich momentan in einem grossen Umbruch – es gibt viele offene Baustellen. Da kann es wohltuend sein, wenn eine Weiterbildung bei einem selber ansetzt, und nicht primär mit äusseren Strukturen gekämpft werden muss. Solche Lehrpersonen können gute Vorbilder sein, die nach aussen wirken und zeigen, dass etwas gelingen kann. Sie können andere neugierig machen oder ihnen neue Wege aufzeigen. Bei vielen Lehrpersonen ist ein grosses Interesse für Veränderung vorhanden.

Was ist in Ihrer Weiterbildung neu oder anders?
Wir bauen darauf auf, was heute bereits an den pädagogischen Hochschulen gelehrt wird. Speziell ist sicher die Verbindung zwischen Praxis und Theorie. Es nehmen Lehrpersonen teil, die mitten im Schulleben stehen, die tagtäglich Erfahrungen machen. Innerhalb eines Jahres erhalten sie so die Möglichkeit, diese Erfahrungen immer wieder zu thematisieren, aus wechselnder Optik anzuschauen und zu reflektieren.

Bräuchten Lehrpersonen nicht besser ein Coaching vor Ort? 
Das wäre auch eine Möglichkeit. Ich will das eine nicht gegen das andere ausspielen. Unsere Weiterbildung ist einfach eine andere Form. In einer Gruppe von Gleichgesinnten aus der Distanz ein Thema zu betrachten, andere Blickwinkel kennenzulernen und auszuprobieren – und erst dann nach aussen zu treten – ist sehr bestärkend. Vor allem dann, wenn in der Schule ein rauerer Wind weht. Die Erfahrungen sollen ja primär unterstützen und einen positiven Effekt haben.

Ruth Meyer, 45, arbeitet als selbständige Team- und Organisationsentwicklerin und Supervisorin in Basel. Die Weiterbildung «damit uns Schule gut tut – Basistraining Beziehungskompetenz im Berufsalltag» ist eine Zusammenarbeit mit dem Berater und Erwachsenenbildner Urs Eisenbart aus St. Gallen. Sie richtet sich an Lehrpersonen und Menschen, die im pädagogischen Umfeld tätig sind. Der Kurs startet erstmals im März 2015 in Lenzburg.