Veröffentlicht am 05.01.2014FOTO UND TEXT: Sandra Gehring

Thomas Buchmann, Leiter Amt für Wirtschaft und Arbeit Aargau, und Urs Schmid, Projektleiter «Potenzial 50plus» vor einem der Werbeplakate.

50plus: zu alt für den Arbeitsmarkt?

Die Meinung, über 50-jährige Arbeitnehmende seien altes Eisen, ist verbreitet. Um an dieser Ansicht etwas zu ändern, wagt der Kanton Aargau Neues. Mit seiner Plakatkampagne «Potenzial 50plus» enthüllt er sich als Pionierkanton.

«Monika, 30...» steht auf dem Plakat, und in kleinerer Schrift darunter «...Jahre Berufserfahrung». Monika ist eine von sechs Stellensuchenden aus dem Kanton Aargau, die sich als Botschafter für «Potenzial 50plus» zur Verfügung gestellt haben. Im Oktober startete der Kanton die Plakatkampagne für ältere Stellensuchende. Die Behörden wollen Arbeitgeber und die Öffentlichkeit auf die besonderen Kompetenzen der über 50-Jährigen hinweisen. Unterstützung erhalten sie dabei von verschiedenen Gewerbe-, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden.

Die ersten Resultate zeigen sich bereits knapp zwei Monate nach Start der Kampagne: Zahlreiche Stellensuchende meldeten sich beim Amt für Wirtschaft und Arbeit Aargau (AWA) mit positiven Rückmeldungen. Sie sind froh, dass der Kanton sie bei ihrer Stellensuche unterstützt. Fanstimmen meldeten sich spontan auch aus der Bevölkerung. Und erste Arbeitgebende, zum Teil auch aus anderen Kantonen, boten offene Stellen an. 

Kampagne_Aargau_Monika«derarbeitsmarkt.ch» hat die Mitinitianten der Aargauer Kampagne, Thomas Buchmann, Leiter AWA, und Urs Schmid, Projektleiter und operativer Kampagnenleiter, in Aarau besucht.

Thomas Buchmann und Urs Schmid, warum lancierten Sie diese Kampagne?

Thomas Buchmann: Die RAV unterstützen die Stellensuchenden mit Standortbestimmungskursen, Assessments und Coachings. Wie sich statistisch zeigt, reicht dies aber nicht, um den steigenden Arbeitslosenzahlen bei den über 50-Jährigen entgegenzuwirken. Die vielen Vorurteile den älteren Arbeitnehmenden gegenüber wie etwa «zu teuer», «unflexibel» oder «nicht auf dem neuesten Wissensstand» haben zu unrecht zu sehr oberflächlichen Haltungen geführt und falsche Meinungen entstehen lassen. Auch wenn die meisten Vorurteile wissenschaftlich widerlegt sind, steckt in vielen Köpfen eine negativ geprägte Grundhaltung. Unsere Aufgabe und das Ziel der Kampagne «Potenzial 50plus» sind, diese Haltungen und Einstellungen zu ändern.

Wie sind Sie auf die Idee der klassischen Plakatkampagne gekommen?

Thomas Buchmann: Eine von uns in Auftrag gegebene Studie hat gezeigt, dass ältere Stellensuchende auch durch intensivere Coachings nicht schneller zu einer Anstellung kommen. Diese Erkenntnis hat uns davon überzeugt, für die Kampagne einen kommunikativen Approach zu wählen. Adressaten sind die Arbeitgebenden und die breite Öffentlichkeit. 

Urs Schmid: Wir können das Problem nicht nur auf der Ebene der über 50-jährigen Stellensuchenden lösen. Für eine raschere Integration ist auch das Engagement der Arbeitsmarktbehörden, der Verbände und der Arbeitgebenden notwendig. Plakate im öffentlichen Raum eignen sich hervorragend, um unsere Botschaft «Die Qualifikation zählt, nicht das Alter» nach aussen zu tragen.

Die ersten Resultate der Kampagne sind spannend. Urs Schmid, was ist für Sie bisher besonders erfreulich?

Urs Schmid: Die Plakate wurden wahrgenommen, gut verstanden und haben eine starke Präsenz gezeigt. Ein Name, gefolgt von einer Jahreszahl: Das hat die Leute zum Denken angeregt. Provokativ dabei ist, dass mit «Hans Ulrich, 28» nicht das Alter, sondern die Berufserfahrung gemeint ist. Schon diese erste Welle von Plakaten hat einiges in Gang gebracht. Wir freuen uns nun auf den weiteren Verlauf.

Thomas Buchmann, was glauben Sie könnte sonst noch dazu beitragen, die älteren Arbeitnehmenden im Arbeitsmarkt zu halten?

Thomas Buchmann: Sicher könnten wir auch die Gesetzgebung bei der Arbeitslosenversicherung anpassen mit dem Ziel, dass die Arbeitgebenden Unterstützung oder Zuschüsse bekommen, wenn sie ältere Stellensuchende einstellen. Das wäre gut. Dies berührt dann aber einen gesamtschweizerischen Kontext. Das heisst, wir können hier nicht einfach auf kantonaler Ebene agieren, auch als kantonale Speerspitze nicht.

Können Sie mit einer solchen Kampagne tatsächlich Meinungen und Haltungen in der Gesellschaft verändern?

Thomas Buchmann: Ich glaube, dass wir grundsätzlich immer etwas ändern können, wenn wir etwas dafür tun. Was genau bei dieser Kampagne herauskommt, wird sich zeigen. Wir haben uns zwei Jahre Zeit gegeben. Wir hoffen, dass wir in den Köpfen der Arbeitgebenden, der Stellensuchenden und den anderen mit dem Arbeitsmarkt verflochtenen Akteuren etwas ändern können. Das Ziel ist eine zehn Prozent tiefere Bezugsdauer bei den Arbeitslosengeldern.

Was würden Sie anderen Kantonen empfehlen, die auch etwas für die Stellensuchenden über 50 tun wollen?

Thomas Buchmann: Vor dem Hintergrund unserer Kampagne würde ich sagen: Schliessen Sie sich uns an, machen Sie ebensolche Kampagnen, um die Wirkung zu vertiefen (lacht). Die Botschaft könnte auf diese Weise schweizweit an die Öffentlichkeit gelangen.

Kampagne Aargau_FrancoDie Kampagne läuft seit knapp zwei Monaten. Sind Sie zufrieden?

Thomas Buchmann: Zufrieden bin ich eigentlich nie. Dazu hätten noch viel mehr Anrufe von potenziellen Arbeitgebenden eingehen müssen, die spontan einen Job anbieten. Die Kampagne hat aber auf jeden Fall Wellen geschlagen. Anlässlich eines Besuchs des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wurden wir sogar angefragt, ob die OECD das Sujet eines unserer Plakate auf ihre Website nehmen dürfte. Damit ist das Ziel für die Startphase sicher erreicht.

Wie sehen Sie beide die Situation für ältere Erwerbstätige in 30 Jahren und vielleicht, wer weiss, mit einem Pensionsalter 75?

Thomas Buchmann: Lieber nicht (schmunzelt). Vermutlich wollen auch die jüngeren Generationen kaum bis zum 75. Altersjahr arbeiten. Auch wenn manche durchaus in der Lage wären und dies gerne machen würden. Durch den demographischen Wandel jedoch werden anteilsmässig immer mehr ältere Personen im Arbeitsleben stehen, und damit auch Gefahr laufen, ihren Job zu verlieren. Das ist nicht zu verhindern. Das war einer der Gründe, weshalb wir die Kampagne gemacht haben.